VON CLEMENS POKORNY | 01.08.2017 13:14

Nomen est omen: Wie Vornamen unser Leben prägen

Immer mehr und immer ausgefallenere Vornamen werden in deutschen Standesämtern vergeben. Nicht selten fällt die elterliche Wahl nicht sehr glücklich aus. Das ist umso schlimmer, als Vornamen uns nachweislich nicht nur sozial, sondern auch psychisch beeinflussen. UNI.DE liefert eine Typologie der Namensgebung und hinterfragt diese Praxis vor dem Hintergrund von Statistiken und Forschungsergebnissen.


In Deutschland werden wieder mehr Kinder geboren, und sie tragen immer häufiger einzigartige Vornamen. In unserer individualistischen Zeit sollte die Unverwechselbarkeit eines Menschen schon darin sich ausdrücken, wie er gerufen wird – denkt sich eine wachsende Zahl von Eltern. So heißen ihre Sprösslinge nicht mehr Julia, sondern Yulia, Mareen statt Maren, Chaantal statt Chantal oder auch Amilia (als Mischung aus Amelie und Emilia). Auch weich sollen die Vornamen klingen, also bei Mädchen möglichst auf -(i)a oder -i(e) und bei Jungen gerne auf -a(h) oder -ian enden. Ob diesen Kindern ihr niedlicher Name auch noch gefallen wird, wenn sie einmal über 50 Jahre alt sind?

A propos Alter: Wer in Deutschland „Emma“ (2016: 2. Platz der beliebtesten Mädchennamen in Deutschland) heißt, ist fast immer entweder über 90 oder unter 20 Jahre alt. Vornamen aus Großmutters Zeiten sind schwer in Mode: Emil (16. Platz), Anton (20) und Theodor (82) sitzen schon seit Jahren im Kindergarten und nun auch in den Schulen neben Mathilda (27), Paula (37) und Johanna (15). Die „Emilisten“ mag ebenfalls der Wunsch nach Individualität treiben, nur wird der freilich zur selbstzerstörenden Prophezeiung, wenn viele Eltern zur gleichen Zeit beschließen, ihr Kind nach ihren Urgroßeltern zu benennen oder auf Friedhöfen Inspiration zu suchen.

Die Chantalisten hingegen finden die Vorbilder für die Namen ihrer Kinder in ihren Idolen aus den Niederungen der Popkultur. Und so wählen sie oft solche aus, deren kultureller Kontext gar nicht zu ihrem eigenen passt: Kevin und Chantal waren gestern; Lennox (94) und Zoe(y) (52/93) werden in den kommenden Jahren ihren deutschen Lehrkräften schon über ihren Namen signalisieren, dass sie aus einem eher bildungsfernen Elternhaus kommen. Bildungsaufsteiger wiederum verraten sich mit protzigen Peinlichkeiten wie „Leonidas-Apollo“, während man die Kinder aus „echten“ bildungsbürgerlichen Familien oft an traditionellen Namen wie Katharina und Johannes erkennt. Einen weiteren Trend hin zur geistigen Verflachung kann man darin beobachten, dass viele Eltern ihren Kindern die Koseform gleich in die Abstammungsurkunde schreiben lassen: Ben (1) statt Benjamin, Max (14) statt Maximilian oder Theo (23) statt Theodor/-bald bei den Jungen und Mia (1) statt Maria, Lilly/Lilli (21) statt Elisabeth und Leni (23) statt (H)Elena oder Magdalena. Man kann diese und ähnliche Kurzformen geschmackvoll finden, aber klingen sie auch seriös? Und werden Vornamen auf diese Weise nicht auf gefälliges Wortgeklingel reduziert, statt in der vollständigen Form über ihre Bedeutung eine Aussage über ihren Träger erkennen zu lassen? Diese wäre freilich von den Eltern vorgegeben und stünde somit im Widerspruch zum Individualismus unserer Zeit – vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Eltern ihren Kindern oftmals keine bedeutungsschwangeren Langformen mehr geben wollen.

Auch die Religion behauptet sich übrigens derzeit stark (Ben, Mia/Maria, Jonas, Elias, Anna oder Lukas), überraschend für unsere zunehmend säkulare Welt. Interessant wäre es, zu erforschen, ob die Eltern von Kindern mit skandinavischen (Niklas, Mats, (Kar-)Lotta, Greta) oder irischen (Fynn, Liam, Eileen) Vornamen sich mit ihrem Verzicht auf die traditionellen christlichen Namen bewusst vom Glauben abgrenzen wollen. In Österreich schließlich muss der erste Vorname laut Gesetz erkennen lassen, ob das Kind weiblich oder männlich ist – Unklarheiten wie „Kim“ oder „Sidney“ ist dort also (zum Glück!) ein Riegel vorgeschoben, in Deutschland aber eben nicht. (Angemerkt sei: Wer sich später bewusst keinem Geschlecht zuordnen lassen möchte, kann sich selbst einen neuen, geschlechtsneutralen Vornamen geben.)

Nur mit zeitlosen Namen wie Julia und Daniel, die kaum einmal zu den Top Ten gehörten, aber auch nie ganz unbeliebt waren, scheinen Eltern nichts falsch machen zu können, ebenso wenig wie wenn sie ihre Kinder nach verstorbenen Familienmitgliedern benennen. Nach welchem Kriterium Eltern auch immer vorgehen: Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass ihr Kind seinen Namen auch im Rentenalter nicht als peinlich empfinden sollte – und dass er sein Leben prägen wird. Yulia etwa hat bestimmt keine Lust darauf, ständig ihren Namen buchstabieren zu müssen, nur weil ihre Eltern originell sein wollten (und/oder sich für etwas ganz Besonderes hielten).

Englische „Star“-Namen sind noch problematischer. Sie werden von Lehrkräften und Personalern nachweislich mit „Unterschicht“ assoziiert – entsprechend schwerer haben es Kevin, Chantal & Co. im beruflichen und privaten Leben. Wer auf Nummer sicher gehen will, dass der Vorname seines Kindes keiner ist, der dessen spätere Lehrkräfte rot sehen lässt, kann ihn mit dem Kevinometer prüfen, einer vom Hobby-Namensforscher Knud Bielefeld programmierte App (0,99 EUR).

Vorurteile: Garanten des Zusammenhalts der Gesellschaft oder Laster des modernen Zeitalters?

Unser Vorname beeinflusst sogar unterbewusst unser Verhalten. Der US-amerikanische Sozialpsychologe Brett Pelham wies nach, dass wir uns tendenziell zu allem hingezogen fühlen, was uns an unseren Namen erinnert (bei Männern dominiert der Nach-, bei Frauen der Vorname). Wir mögen unsere Namensvetter; Mr. Smith z.B. heiratet überproportional häufig eine gebürtige Ms. Smith. US-Amerikanerinnen namens Georgia oder Virginia ziehen überdurchschnittlich häufig in die Bundesstaaten dieses Namens; wer Lawrence oder Laurie heißt, beschäftigt sich überdurchschnittlich häufig mit „laws“ (Gesetzen), das gilt für andere Berufe mit anderen Anfangsbuchstaben gleichermaßen.

Natürlich beziehen sich diese Beobachtungen aber auf kleine Tendenzen und sind nicht verallgemeinerbar. Der nordrhein-westfälische CDU-Bundestagsabgeordnete Cajus Julius Caesar etwa ist der einzige Politiker in seiner Familie, obwohl in dieser derzeit mindestens vier Träger dieses Namens leben. Und Johann Sebastian Bach arbeitet in Tübingen nicht in der Musikbranche, sondern als Rechtsanwalt. Seinen zweiten Vornamen kürzt er lieber ab (S.). Vornamen können nicht nur negative Assoziationen, sondern auch unrealistisch hohe Erwartungen an ihren Träger wecken!