VON NORA GRAF
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29.07.2015 19:18
Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz: Einmal „Arschloch“ ist erlaubt
Viele verbringen durchschnittlich acht Stunden bei der Arbeit. Eine lange Zeit also, in der man als Arbeitnehmer auch schon mal seine Meinung kundtut oder seiner Verärgerung Luft macht. Schlimm genug, wenn dafür die Kündigung droht. Doch welche Äußerungen fallen eigentlich unter das in Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Grundrecht der Meinungsfreiheit? Und ab wann führen sie tatsächlich zu Konsequenzen?
Wie so oft in der Rechtsprechung kommt es bei einer Streitfrage auf die spezifische Situation und das jeweilige Gericht an. Doch ein paar allgemeine Aussagen lassen sich trotzdem treffen. Denn grundlegend gilt die freie Meinungsäußerung für alle Parteien, sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitgebende. Das bedeutet aber nicht, dass man einfach alles behaupten und äußern darf, was einem gerade durch den Kopf geht. Wenn nämlich zum Beispiel die persönliche Ehre eines Anderen verletzt wird, greift Art. 2 Abs. 5 des Grundgesetztes. Die Grenzen (Schranken) der Meinungsfreiheit werden dort wie folgt beschrieben: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Arbeitsmotivation in deutschen Unternehmen
Im Jahr 2011 ergab die Studie, dass lediglich 14 Prozent wirklich engagiert arbeiten, während zwei Drittel keine echte Verpflichtung gegenüber ihrer Arbeit empfanden und sozusagen nur „Dienst nach Vorschrift“ machten
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Es stellt sich also grundsätzlich die Frage, ob das Gesagte vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Unwahre Tatsachenbehauptungen sind von vornherein davon ausgenommen. Wenn ein Mitarbeiter also bewusst die Unwahrheit über seinen Chef oder das Kollegium verbreitet, so kann dies als üble Nachrede eingestuft werden und schwere Konsequenzen für ihn haben. Bei groben Beleidigungen sieht das Gesetz einen
Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers. Die persönliche Ehre des Betroffenen wurde verletzt. Die Folge kann durchaus eine verhaltensbedingte, wenn nicht sogar eine außerordentliche Kündigung, sein. Es ist auch unerheblich ob die Behauptungen direkt erfolgen oder extern etwa in Form einer Verleumdung. Sollten die Äußerung dazu dienen eine Person herabzusetzen, kann der Chef handeln. Werden aber Arbeitsbedingungen oder Abläufe eines Unternehmens kritisiert, fällt dies unter Meinungsfreiheit.
Im Einzelfall lässt sich das aber oft nur schwer beurteilen, wie der folgende Fall zeigt. Eine Mitarbeiterin des Landkreises kandidierte bei einer Landratswahl und warf dem Amtsinhaber vor, er würde „Betrügereien“ decken. Daraufhin wurde sie fristlos gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht sah das anders und beurteilte die Äußerung als Werturteil und nicht als Tatsachenbehauptung. Die Arbeitnehmerin habe dem Landrat keine konkreten Gesetzeswidrigkeiten, sondern lediglich einen intransparenten Politikstil vorgeworfen. Ihre Formulierungen seien pointiert und vor allem einem Wahlkampf angemessen. Im Kern stellten ihre Aussagen Wertungen und keine unwahren Tatsachen dar.
Auch die fristlose Kündigung bei manchen Äußerungen ist oft nicht rechtens. In der Regel muss erst einmal eine Abmahnung erfolgen, bevor eine Firma einem seiner Beschäftigten kündigen darf. Ebenso verhält es sich bei Gesprächen im Kollegenkreis. So hatte ein
Mitarbeiter eines rheinland-pfälzischen Chemieunternehmens seinen Chef in der Raucherpause als „Psychopath“, „Arschloch“ und „irre“ bezeichnet. Das stelle zwar eine erhebliche Ehrverletzung dar, doch eine Abmahnung hätte genügt, um den Mitarbeiter in die Schranken zu weisen. Überdies befand er sich in einem vertraulichen Verhältnis zu den Anwesenden und so war es nicht vorherzusehen, dass einer der Rauchenden den Chef informiert.
Bei allen Streitfällen, die verhandelt werden, prüft das Gericht vor allem die jeweilige Situation. Ist das Verhältnis zwischen Chef und seinem Mitarbeiterstab eher freundschaftlich, duzen sich alle oder geht es grundsätzlich etwas rauer zu, wie etwa auf dem Bau? Wird ein Erwerbstätiger das erste Mal ausfällig, würde kaum ein Richter einer Kündigung zustimmen, bei weiteren sei dann aber nicht mehr mit Kulanz zu rechnen. Nicht jede verbale Entgleisung führt also gleich zur rechtmäßigen Kündigung und nicht jede hart formulierte Kritik ist eine Beleidigung.