VON MAXIMILIAN REICHLIN | 02.09.2013 13:30

Demokratie? Ohne mich!

Das demokratische System in Deutschland funktioniert nur durch die Beschlüsse der gewählten Abgeordneten der einzelnen Fraktionen. Fehlen jedoch die Abgeordneten im Parlament, können kaum fruchtbare Diskussionen und kritische Betrachtung zustande kommen. Der Beschluss des neuen Meldegesetzes wurde 2012 etwa nur von einem Bruchteil des Parlaments durchgewunken. Kein Einzelfall: Viele Abstimmungen der aktuellen Legislaturperiode müssen ohne einen Teil der Abgeordneten auskommen. Wer sind die Spitzenblaumacher im Bundestag und wofür werden diese Abgeordneten eigentlich bezahlt? UNI.de hat sich umgehört.


Rund 30 Abgeordnete waren im Juni letzten Jahres anwesend, als im Bundestag das neue Meldegesetz beschlossen wurde – nicht einmal fünf Prozent der Abgeordneten – während die deutsche Nationalmannschaft in Warschau im EM-Finale gegen Italien ins Feld zog. Offenbar scheint der Lieblingssport der Deutschen nicht nur beim Ottonormalverbraucher für Politikverdrossenheit zu sorgen, sondern selbst bei den unmittelbaren Trägern des demokratischen Systems.

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Nicht einmal eine Minute brauchten die Abgeordneten für die Entscheidung für das neue Meldegesetz, das im Nachhinein für einige Aufregung sorgte. Mittlerweile distanzieren sich die beteiligten Fraktionen von dem Beschluss, der unter anderem deswegen in der Kritik steht, weil er den Meldeämtern den Verkauf privater Daten zu Werbezwecken gestattet. SPD und Grüne haben bereits angekündigt, das Gesetz nachträglich kippen zu wollen.

Und das, obwohl der Beschluss ohnehin kaum gültig gewesen wäre, denn das Parlament muss aus mindestens der Hälfte der 640 Abgeordneten bestehen, um überhaupt beschlussfähig zu sein. Wird diese Zahl nicht erreicht, kann die Sitzung jederzeit beendet werden, allerdings nur dann, wenn eine der anwesenden Fraktionen einen entsprechenden Antrag stellt. Paradox: Ein solcher Antrag wurde nicht gestellt, obwohl der Beschluss rückwirkend von beinahe allen anwesenden Fraktionen stark kritisiert wird.

Dieses Bild des leergefegten Bundestags ist beileibe kein Einzelfall. FOCUS ONLINE hat mit Hilfe der Internetplattform Abgeordnetenwatch eine Liste derjenigen Abgeordneten aufgestellt, die sich am häufigsten vor Abstimmungen drücken. Das Ergebnis: Peter Gauweiler (CSU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schwänzen am häufigsten. Sie fehlten in der laufenden Legislaturperiode bei 44 beziehungsweise 43 der insgesamt 80 Abstimmungen. Merkel jedoch kann insofern entschuldigt werden, als sie in vielen Fällen damit beschäftigt war, Deutschland im Ausland zu vertreten, während der Diskussion des Meldegesetzes etwa in Brüssel.

Andere Abgeordnete haben weniger gute Entschuldigungen. Auf Platz 14 der FOCUS-Liste steht etwa Michael Glos (CSU), nach Peer Steinbrück der Abgeordnete mit dem höchsten Jahresnebenverdienst. 546.000 Euro ist seine kostbare Zeit wert – die er beweisbar nur selten in den Reihen des Parlaments verbringt. Es stellt sich die Frage, wofür Top-Politiker im Grunde bezahlt werden, wenn nicht für ihren Auftrag, die Interessen ihrer Wähler zu vertreten. Etwa für ihre diversen Nebentätigkeiten, bei Gauweiler etwa seine Beschäftigung als Anwalt? Oder gar fürs Zeit-totschlagen? Interessant: Ein Videoausschnitt der Tagesschau zeigt Wolfgang Schäuble in sein Sudoku vertieft – während der Rest des Parlaments damit beschäftigt ist, das zweite Rettungspaket für Griechenland zu diskutieren.