VON CLEMENS POKORNY
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20.08.2016 13:07
Change Your Shoes: Das zieht uns die Schuhe aus
Fast alle in Deutschland verkauften Schuhe werden unter menschenunwürdigen Bedingungen in Osteuropa und Fernost produziert. Hungerlöhne für Arbeiten bis zum Umfallen, krebserregende Chemikalien in den Produktionsstätten, fehlende Transparenz im Verkauf: Die Liste der Missstände ist lang. Die europaweite Kampagne „Change Your Shoes“ liefert erschreckende Zahlen und Fakten dazu. Doch wir alle können mit unseren Kaufentscheidungen dazu beitragen, dass sich etwas ändert.
24,3 Milliarden Paare: Das war die weltweite Schuhproduktion im Jahr 2014. In Deutschland werden Jahr für Jahr ca. 200 Millionen Paare verkauft. 98 Prozent davon werden importiert, meist aus China, woher etwa 50 Prozent unserer Schuhe stammen.
Klar, dass die anfallenden Transporte nicht nur unnötige Kosten verursachen, sondern auch das Klima belasten. Noch schlimmere Auswirkungen hat die Produktion aber für die Arbeiterinnen (meist sind es Frauen). In Osteuropa, wo im Jahr 2014 die allermeisten der 729 Millionen Paar europäischer Schuhe produziert wurden, liegt der Mindestlohn noch niedriger als in China. Und mehr als den Mindestlohn bekommen die Arbeiterinnen auch nicht. Oft werden sie pro hergestelltem Stück bezahlt, sodass sie gezwungen sind, zehn Stunden und mehr pro Tag zu arbeiten. So deckt der Lohn einer osteuropäischen Arbeiterin in der Schuhindustrie nur einen Bruchteil des finanziellen Mindestbedarfs ihrer Familie. Drastischer gesagt: Von der Schuhproduktion kann in Albanien, Mazedonien oder auch Rumänien keine Familie leben. Doch weil es nicht genügend bessere Arbeitsplätze gibt, sind viele Frauen dort gezwungen, diese Arbeitsbedingungen anzunehmen.
Die Profiteure der Branche sitzen in den reichen Ländern Mittel- und Westeuropas sowie den USA. Mit 37,5 Prozent des Verkaufspreises, den man im Laden für ein Paar Schuhe bezahlt, geht der Löwenanteil an den Einzelhandel – kein Wunder, dass Online-Shops mittlerweile die Einzelhändler zunehmend verdrängen. Fast 22 Prozent fließen an den jeweiligen Markenkonzern. Die Produktionskosten für ein Paar Schuhe dagegen machen weniger als ein Zehntel davon aus, nämlich knapp 2,1 Prozent.
Entsprechend sparen Firmen an den Arbeiterinnen, aber auch an den Fabrikhallen, wo es nur geht. Weil Klimaanlagen fehlen, wird es sommers oft unerträglich heiß und winters bitterkalt. In den Gerbereien, in denen Leder auf seine Verarbeitung zu Schuhen vorbereitet wird, wird oft ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen gearbeitet. Als Gerbstoff dient in 80 Prozent der Fälle ein Chromsalz, das nachweislich Allergien und sogar Krebs erregt. Die Arbeiterinnen kommen damit direkt in Kontakt – aber auch Konsumenten, die mit Chrom gegerbte Lederschuhe tragen.
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Die Produktionsbedingungen schaden also allen außer den Firmen und Entscheidungstragenden in den reichen Ländern dieser Welt. Die europaweite Kampagne „
Change Your Shoes“ will über diese Missstände aufklären. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Nichtregierungsorganisationen und wird von der EU finanziell gefördert. Kürzlich ist ihre Studie „
Trampling workers rights underfoot“ („Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern mit Füßen getreten“) erschienen. Nur 14 der 28 angefragten Konzerne aus der Schuhindustrie hatten die erbetenen Auskünfte zu den Arbeitsbedingungen erteilt. Mit den schockierenden Ergebnissen der Untersuchung konfrontiert schieben die betroffenen Firmen die Verantwortung auf ihre Zulieferer ab, und nur ein Konzern verpflichtet seine Partner beispielsweise, existenzsichernde Löhne zu zahlen.
Weil die Schuhindustrie sich noch zu wenig bewegt, hat sich „Change Your Shoes“ in erster Linie das Ziel gesetzt, bei den Verbraucherinnen und Verbraucher ein Bewusstsein für die unhaltbaren Produktionsbedingungen fast aller in Europa verkaufter Schuhe zu schaffen. Doch wer informiert ist, sollte auch handeln. Solange die Fabriken in Osteuropa und Asien inakzeptable Arbeitsbedingungen bieten, sollten verantwortungsbewusste Menschen vollständig in Mittel- oder Westeuropa hergestellte Schuhe kaufen. Ein Beispiel dafür ist
das „Waldviertler“-Sortiment der österreichischen Firma GEA, die immer mehr Filialen in Deutschland eröffnet. Das Leder für diese Schuhe
kommt fast ausschließlich aus Deutschland und wurde pflanzlich gegerbt. Zusammengenäht wird es im österreichischen Waldviertel zu existenzsichernden Löhnen. Die so entstandenen Schuhe kosten etwas mehr als unfair produzierte Massenware, geben dafür aber ihren Käufern das gute Gefühl, Menschen ihre Arbeitsplätze zu sichern statt Konzernchefs ihren Luxus. Wer dagegen beim Einkauf spart, drückt automatisch auch die Löhne der Arbeiterinnen, die die jeweiligen Schuhe hergestellt haben. Eine Übersicht von Unternehmen, die zumindest teilweise in Deutschland produzieren, findet sich
hier.