VON JANINA TOTZAUER | 22.11.2016 15:29

Biosprit: Tank vs. Teller

Im April 2009 gaben die gesetzlich festgelegten Richtlinien für erneuerbare Energien in Deutschland den Startschuss zur expansiven Biosprint-Produktion. Biosprit klang nach der Lösung vieler Probleme. Die Gewinnung von Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen wie Weizen, Raps, Soja, Mais, Zuckerrohr oder Palmen wurde als nachhaltige Alternative zu teuren, fossilen Ölen gefeiert. Gut neun Jahre Lobbyarbeit, drei Hungerrevolten und unzählige Forschungsarbeiten später scheint sich das erhoffte Wunder als Klimaflop zu entpuppen. Was der Tortilla-Preis in Mexiko mit der Tankfüllung eines deutschen Autos zu tun hat, weiß UNI.DE.


Nach Jahrhunderten der Ausbeutung der Erde und ihrer fossilen Öle zur Herstellung von Benzin und Gas, dauert es nicht mehr lange, bis die Quellen versiegen und die Welt auf dem trockenen sitzen wird. Doch vor einigen Jahren prophezeiten Unternehmen mit Biosprit das Nachhaltigkeitswunder par excellence. Durch Gärung kann aus verschiedenen Pflanzen Ethanol - zu Deutsch Schnaps - gewonnen werden, das dem Benzin beigemischt werden kann. Darüber hinaus versprechen Biosprit-Konzerne unzähligen Bauern auf der ganzen Welt ein verlässliches Einkommen. Sie rühmen sich, Überproduktionen an Nahrungsmitteln zur Spritgewinnung zu nutzen und das Importland unabhängig vom Erdölmarkt zu machen. Der größte Vorteil scheint aber die Klimaneutralität zu sein. Während des Produktionsvorgangs werden ebenso viele Treibhausgase ausgestoßen, wie die Pflanzen davor aufgenommen haben. Die Biosprit-Lobby in weiten Teilen der westlichen Welt feiert bis heute den Biosprit und tankt das vermeintliche Wundermittelchen in ihre Luxuskarossen. Die erfolgreiche Lobbyarbeit, die den Fortbestand der Biokraftstoffe auf dem europäischen Markt sichert, war den Biosprit-Unternehmen letztes Jahr 14 Millionen Euro wert. Doch wieso hat es ein vermeintlich grünes Unternehmensmodel, das den Rückgang der CO2-Emission weltweit als Ziel verfolgt, nötig, sich so teuer in die Politik einzukaufen?

Moderner Kolonialismus

Die schwarze Seite des Biosprits

Fernab von den europäischen Tankstellen und Lobbyisten stapfen Arbeiter mit Kettensägen bewaffnet durch den brasilianischen Regenwald. Viele Hektar Wald werden noch am Abend in Flammen aufgehen und kurz darauf für neue Felder eingeebnet. Die jahrhundertealten Bäume machen dem Anbau von Zuckerrohr Platz. Auch in Indonesien, Peru oder Tansania fallen jährlich hunderte Hektar Land den agrarindustriellen Rodungen zum Opfer. Bis zum Jahre 2030 wird eine Fläche der Größe Frankreichs den Monokulturen gewichen sein. Mit den Bäumen verschwinden Lebensräume für unzählige Tierarten, die Natur gerät aus dem Gleichgewicht und auch vor dem Menschen machen die Konzerne nicht Halt. Den Einheimischen wird mit ihrem Land ihre Lebensgrundlage entrissen, über Generationen gehegte soziale Strukturen weichen den Biosprit-Plantagen auf der ganzen Welt. Gelockt von den finanziellen Fördermitteln der EU, steigen viele Bauern in In- und Ausland auf den Anbau von Pflanzen zur Biosprit-Gewinnung um. Bereits jetzt werden nur knapp 2% des weltweiten Soja-Anbaus auf einem Teller, dafür rund 40% der US-amerikanischen Maisernte im Tank eines PKWs enden. Dies hat zur Folge, dass weniger Nahrung auf dem freien Markt zur Verfügung steht und die Preise steigen. Diese künstlich herbeigeführte Lebensmittelknappheit endete 2007 und 2008 in der Tortillarevolte, in welcher tausende Menschen in Mexiko für günstigere Lebensmittel auf die Straße gingen. Da sich am Biospritmarkt wenig änderte und der Nahrungsmittelpreis durch zusätzliche Ernteausfälle in die Höhe schnellte, folgten 2011 und 2016 weitere Hungerrevolten. Der offensichtliche indirekte Zusammenhang von Nahrungs- und Biospritproduktion betrifft hauptsächlich die arme, von Grundnahrungsmitteln abhängige Bevölkerung der Produktionsländer. Zuletzt ist auch das stärkste Argument der Biosprit-Befürworter entkräftet: Klimaneutral ist nur die Pflanze an sich, der lange Weg von Rodung über Düngung bis hin zur Ernte produziert Unmengen an Treibhausgasen, die dem Begriff „bio“ nicht mehr gerecht werden. Organisationen wie Greenpeace oder ‚Brot für die Welt‘ warnen vor einem Ausbau der Biosprit-Produktion und verweisen auf die ‚Nationale Akademie der Wissenschaften’, für die Biosprint keinen nachweislichen Beitrag zur Energiewende leistet.

Lösungsvorschläge werden nur zaghaft vorgestellt. Die zweite Generation an Biosprit birgt einen Hoffnungsschimmer: Durch die ausschließliche Verarbeitung von Abfallprodukten und Überresten wie Stroh, Kompost oder Holzreste soll der Ackerbau wieder ausschließlich der Nahrungsgewinnung zur Verfügung stehen. Doch bevor die Forschung sicherstellen kann, dass in Zukunft kein Mensch mehr hungern muss, damit ein anderer in Deutschland weiterhin seinen BMW ausfahren kann, muss sich Europas Politik von sämtlichem Lobbyismus befreien. Vielleicht hat so die dritte oder vierte Generation an Biosprint die Chance, die vierte oder fünfte Hungerrevolte in benachteiligten Ländern zu verhindern.