VON JASCHA SCHULZ | 11.03.2015 14:01

Der Krieg und die Kinder – Die Belastungen einer „vergessenen Generation“

Panikattacken, Beziehungsunfähigkeit, posttraumatische Belastungsstörungen. Das sind nur einige der möglichen psychischen und sozialen Folgen bei Kriegsgeschädigten. Der vom deutschen Ärzteblatt ausgearbeitete Katalog bezieht sich allerdings nicht auf ehemalige Soldaten, sondern auf Kriegskinder. Unter diesem Namen versteht man die Generation von 1928 bis 1945. Deren Traumatisierung wurde lange Zeit totgeschwiegen. Die Fokussierung lag auf den Vätern und Müttern und deren Anpassung an das ‚normale Leben‘ nach dem Krieg.


Seit gut zehn Jahren erfährt die Erforschung von Spätfolgen bei Kriegskindern einen starken Zulauf in Deutschland. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und Erfahrungsberichte werden seitdem veröffentlicht. Zwei Kongresse, 2005 in Frankfurt am Main und 2013 in Münster, fanden statt. Auf ihnen treffen sich zahlreiche Fachleute aus den Bereichen Medizin, Psychotherapie, Geschichte und Sozialwissenschaften, um die Folgen des Krieges auf das gegenwärtige Leben der Kriegskinder zu erforschen. Etwa ein Drittel der Generation von 1928 bis 1945 hat demzufolge an schwerwiegenden psychischen und sozialen Folgen zu leiden. Dabei sind es nicht die kognitiven Fähigkeiten, die bei Betroffen vermindert ausgebildet werden. Zahlreiche Kriegskinder finden sich in hohen Stellungen in Industrie oder Politik wieder. Dies wird damit begründet, dass Kriegskinder früh lernen Verantwortung zu übernehmen und in Krisensituationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Ausbildung emotionaler Fähigkeiten ist bei vielen allerdings beeinträchtigt. Denn die traumatischen Erlebnisse von Bombeneinschlägen, Tötungen, Vergewaltigungen und Flucht können von den Betroffenen häufig schwer verarbeitet werden. Die Bezugspersonen befinden sich während des Kriegs selbst in Angst- oder Schockzuständen und können den Kindern keine seelische Zuflucht bieten. Nach Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. med. Peter Riedesser ist allerdings gerade das Verhalten der Bezugsperson entscheidend. Eine panische Reaktion der Mutter bei einem Bombenangriff könne demnach den Auslöser für eine Traumatisierung des Kindes darstellen.

Frieden schaffen ohne Waffen!

Auch nach dem Krieg haben die Eltern häufig ihre eigenen Probleme. Dies beschreibt Sabine Bode in ihrem Buch „Die vergessene Generation“. Kinder hätten nach dem Krieg eigene Erlebnisse aufgrund der Schwierigkeiten der Eltern verschwiegen. Für die meisten Kriegskinder wurde deshalb die Geschichte der Eltern „zum Organisator der eigenen Entwicklung“. Eine gesicherte Identitätsbildung ist unter diesen Voraussetzungen schwer möglich. Wer es gewohnt ist, sein Empfinden vor anderen und vor sich selbst zu verheimlichen, kann die Frage nach der eigenen Persönlichkeit häufig nicht beantworten.

Eine Aufarbeitung des Erlebten in therapeutischen Gesprächen ist deshalb für die Mitglieder des Kongresses in Münster ein wichtiger Schritt, um bei Kriegskindern Normalisierung zu schaffen.

Dass diese bislang ausblieb, ist nicht nur als Versäumnis der Gesellschaft zu betrachten. Viele Symptome einer Traumatisierung zeigen sich erst spät. Die verdrängten Erlebnisse gelangen im hohen Alter auf einmal wieder ins Bewusstsein und führen zu Angstattacken oder Depressionen. Diese belasten das alltägliche Leben enorm. In der Praxis der Psychotherapeutin Helga Spranger häufen sich deshalb Patienten der Generation von 1928 bis 1945, die mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben. Deshalb rief sie die Organisation Kriegskind.de ins Leben. Deren Website enthält eine Liste psychiatrischer Einrichtungen, in denen therapeutische Hilfe für Kriegskinder angeboten wird. Außerdem werden Informationen zu gemeinsamen Treffen von Kriegskindern bereitgestellt.

Trotz des gesteigerten Interesses hat die Aufklärung der Spätfolgen bei Kriegskindern allerdings noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Viele Therapeuten sind für den richtigen Umgang mit Betroffenen nicht ausgebildet. Vor allem das historische Hintergrundwissen fehle häufig, so der Konsens des Kongresses 2013 in Münster. Prof. Gereon Heuft, Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster, bemängelt vor allem die fehlende finanzielle Unterstützung für die wissenschaftliche Forschung. Eine repräsentative Befragung aller Betroffenen sei bisher leider nicht möglich gewesen. Diese sei allerdings notwendig, um ein umfassendes Bild der Spätfolgen bei Kriegskindern zu erhalten. Die Zeit läuft jedoch davon, da viele Menschen dieser Generation mittlerweile auf ihr Lebensende zugehen.