VON CLEMENS POKORNY | 23.08.2012 16:53

ESM: Beitrag zur europäischen Stabilität oder Verlust von Souveränität und Demokratie?

Der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM, soll die Eurozone als Wirtschaftsunion stärken, indem er Kredite für hoch verschuldete Mitgliedsstaaten garantiert. Viele Experten kritisieren aber seine Ausgestaltung für die vertraglich festgeschriebenen, irreversiblen Preisgabe von Souveränität und Demokratie der Unterzeichnerländer.

Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass sich vor allem die sogenannten PIIGS-Länder der Eurozone, also Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, in den letzten Jahren massiv verschuldet haben. Ob unsolide Haushaltspolitik wie im Falle Griechenlands oder - wie kritische Ökonomen argumentieren - die Finanzkrise ab dem Jahr 2007 und damit das Fehlverhalten der Kreditwirtschaft: Die Haushaltsdefizite der PIIGS-Staaten übersteigen bei weitem die in EU-Verträgen festgelegte 60%-Grenze gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), und aufgrund ihrer dadurch gesunkenen Bonität können sich die betroffenen Staaten kaum mehr Geld für die Tilgung ihrer Schulden leihen. Dieser Umstand gefährdet die europäische Integration und die Wirtschaft in allen Ländern der Eurozone, mithin die finanzielle Stabilität in der Euro-Währungszone. Gegen diese Risiken haben die Euroländer den Euro-Rettungsschirm aufgespannt.

Eurobonds: Chancen und Risiken

Dieser besteht aus der Griechenland-Hilfe, dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), dem Europäischen Fiskalpakt sowie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Der EFSM ermöglicht Hilfskredite an in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder. Mit dem Fiskalpakt geben die Unterzeichner die Kontrolle über ihre nationalen Fiskalpolitiken, d.h. vor allem über ihre Staatsverschuldung, an die europäische Ebene ab. Die EFSF erhöht das Volumen der zu gewährenden Hilfskredite im Sinne einer Sicherung der finanziellen Stabilität im Euro-Währungsraum. Ihr Nachfolger - während die EFSF noch parallel bis Juni 2013 weiterbesteht - ist der Stabilitätsmechanismus.

Dieser wird als Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg eingerichtet und soll die Eurozone als Wirtschaftsunion stärken. Diesem Zweck dienen Notkredite und Bürgschaften, die aus einem ad hoc eingerichteten Topf gespeist werden. Er umfasst ein Stammkapital von 700 Mrd. Euro, von denen die Bundesrepublik im Falle eines Ausfalls eines anderen ESM-Staates rund 190 Mrd. zahlt. Insgesamt trägt Deutschland im Rahmen des Euro-Rettungsschirms ein maximales finanzielles Risiko von 732 Mrd. Euro.

Nicht nur die enormen Summen, die der Staat und damit wir alle im Notfall anderen Euro-Ländern zuschießen müssten, werden von Kritikern des ESM abgelehnt. Der Verein Mehr Demokratie e.V., die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE, sowie Einzelpersonen wie der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider haben gegen die Unterzeichnung des Vertrages durch die Bundesregierung Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, weil die Bundesrepublik mit dem ESM weitreichende Haushaltskompetenzen an ein nicht demokratisch gewähltes Gremium abgebe, ohne dass dem per Volksentscheid von der Bevölkerung zugestimmt worden wäre. Aufgrund dieser Anträge auf einstweilige Verfügungen hat Bundespräsident Gauck den ESM noch nicht ratifiziert. Das estnische Verfassungsgericht hat ähnliche Einwände mittlerweile mit hauchdünner Richtermehrheit zurückgewiesen, sodass nur noch aus Deutschland die Entscheidung über die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung (dem Grundgesetz) aussteht. Problematisch ist ferner auch die Tatsache, dass die Hilfsleistungen bedingungslos und unwiderruflich von den Unterzeichnerstaaten gestellt werden müssen und dass kein Land aus dem zugrunde liegenden Vertrag ausscheiden kann. Der ESM ist niemandem gegenüber verantwortlich und kann also für seine Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden - obwohl er nicht demokratisch gewählt wurde. Wie er seine Kredite vergibt, bleibt wegen der Verschwiegenheitspflicht seines Personals intransparent.

Gegen den ESM regt sich wegen der vielen Fragezeichen, die hinter ihn gesetzt werden müssen, auch im Internet allenthalben Widerstand. In Videos bemühen sich Kritiker um Aufklärung über die komplexen Sachverhalte rund um den Euro-Rettungsschirm und speziell den ESM. Angesichts der breiten Zustimmung seitens der Parlamente in ganz Euroland hängt aber nur noch vom Bundesverfassungsgericht ab, ob der ESM kommen wird oder nicht.