VON MAXIMILIAN REICHLIN | 20.06.2016 13:37

Facebooks Trending Topics und die Filter Bubble – Meinungsbildung im Internet

Als Digital Natives besorgen wir uns unsere Informationen und Nachrichten schon lange immer seltener aus Print-Medien oder Online-Magazinen und dafür immer mehr aus den Trending Topics auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Oder wir suchen bei Google danach und lassen uns die neuesten Informationen herausfiltern. Dabei verlassen wir uns auf die absolute Neutralität der Plattformen, denn hinter den ausgewählten Beiträgen, die wir zu sehen bekommen, stehen ja Algorithmen. Die Maschine als der objektivste Berichterstatter der Welt. Dabei übersehen wir jedoch, dass auch diese Algorithmen von Menschen gemacht wurden – und von ihnen eingesetzt werden können, um unsere Meinungen in eine bestimme Richtung zu lenken und mitzubestimmen.

Die Praktiken des Internetriesen Facebook stehen nicht erst seit neuestem immer wieder in der Kritik. Nun schlagen kritische, netzaktive Personen wieder gegen den Konzern los – diesmal gegen die sogenannten „Trending Topics“ des sozialen Netzwerkes. Diese sind ein seit 2014 in Facebook integriertes Nachrichtentool, das aktuelle News ausgehend von ihrer Beliebtheit, beziehungsweise von ihrem „Trend-Faktor“ auswählt. Ein kluger Algorithmus soll angeblich das Klickverhalten der Facebook-User analysieren, um so zu ermitteln, welche Beiträge und Themen im Moment die interessantesten sind. Das sind dann die Trending Topics.

Dass eben doch nicht alles mithilfe von Algorithmen funktioniert enthüllte im vergangenen Monat der unabhängige Blog Gizmodo, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit mehreren ehemaligen Teammitgliedern von Facebook sprachen. Daraufhin gaben einige zu, dass sie angeleitet worden waren, bestimmte Beiträge aus den Trending Topics zu entfernen, oder andere Beiträge, die dort noch nicht auftauchten, manuell zu integrieren. So durften beispielsweise keine Artikel über Facebook selbst in den Trending Topics erscheinen, diese mussten zuvor von höheren Stellen geprüft werden. Ansonsten hätten sie bezüglich der Nachrichten bei Facebook so gut wie freie Hand, so ein anonymer Mitarbeiter zu Gizmodo.

Instant Articles – Der Tod der Pressefreiheit?

Neben den Trending Topics gibt auch die im Mai gestartete Facebook-Plattform „Instant Articles“ nach wie vor Anlass zur Diskussion. Über diese Plattform sind Verlage künftig in der Lage, ihre Inhalte direkt bei Facebook zu veröffentlichen, anstatt, wie zuvor, nur einen Teaser im Newsfeed anzeigen zu lassen, der auf die Quelle verlinkt. Facebook verspricht den Programmteilnehmern hohe Werbeeinnahmen. Viele kritische Stimmen, beispielsweise der Atlantic-Chefredakteur James Bennet, sprachen sich dennoch gegen das neue Feature aus: Es bedrohe sowohl die journalistische Integrität, als auch die Pressefreiheit als solche, da Facebook sich das Recht vorbehalte, einzelne Beiträge auch zu löschen.

Sean Cullen, Vizepräsident der Marketingagentur Fluent, betrachtet die Angelegenheit nüchtern: „Facebook Instant Articles ist weder ein Verbündeter [für die Verlage] noch eine Bedrohung, denn der Krieg ist bereits vorbei. Facebook hat gewonnen.“ Die Verlage hätten demnach keine andere Wahl, als Instant Articles zu nutzen, um ihre Inhalte an die Nutzenden zu bringen. Das Meinungsforschungsinstitut Pew fand in einer Studie heraus, dass mittlerweile rund 63 Prozent der Amerikaner Nachrichten nicht mehr aus Print- oder Online-Zeitungen beziehen, sondern aus den Trending Topics von Facebook und anderen Netzwerken. Die Plattform netzpiloten.de schätzt, dass diese Prozentzahl mit zunehmender Interaktion zwischen den Verlagen und Facebook sogar noch steigen wird.

Von den Tücken der anonymen Kommunikation

Meinungsbildung durch Trichter und Blasen

Man spricht in diesem Fall von einem Trichter: Zwar gibt es durch das Internet eine immer größere Anzahl an verfügbaren Informationen und Nachrichten, aber immer weniger „Gateways“, um diese Nachrichten abzurufen. Soziale Netzwerke, wie Facebook, Twitter oder Youtube, oder Suchmaschinen wie Google sind solche Gateways. User verlassen sich auf die Informationen, die in ihren Trending Topics oder Newsfeeds auftauchen. Netzpiloten.de schreibt dazu: „Ja, wir können uns alle an einzelne Quellen wenden und die Unterschiede auskosten, aber immer weniger von uns tun das auch. Wir verlassen uns stattdessen darauf, was die Plattformen behaupten.“

Ähnlich verhält es sich bei der sogenannten „Filter Bubble“ (dt. Filter-Blase), ein Begriff der vor allem vom Internetaktivisten Eli Pariser geprägt wurde. Sie bezeichnet das Phänomen, dass zwei verschiedene Menschen bei identischen Suchanfragen auf der Suchmaschine Google zwei völlig verschiedene Ergebnisse erhalten können. Oder dass die Trending Topics in den Newsfeeds zweier Menschen sich stark voneinander unterscheiden können, auch wenn sie die selben Facebook-Freunde haben. Das passiert aufgrund von Algorithmen, mit denen sowohl Google als auch Facebook arbeiten. Diese analysieren die Suchanfragen der User, ihre Interaktion mit Freunden oder ihr Klickverhalten, und berechnen daraufhin, welche Inhalte für sie dann interessant sein könnten. Diese werden ihm dann als Trending Topics angezeigt.

Algorithmen sind nicht das Problem – sondern Menschen

Pariser kritisiert an der Filter Bubble, dass User von abweichenden Meinungen regelrecht abgeschnitten werden, und ihre Meinungsbildung somit beeinflusst werde. Diverse Fachleute schätzen den Bubble-Effekt dagegen eher moderat ein: Die Filter Bubble sei nicht so groß, wie viele glauben, außerdem schränken sich vor allem typische Facebook-User eher selbst ein, als dass dies der Algoritmus der Trending Topics täte – rund 70 Prozent von Beiträgen, die von der Meinung der User abweichen, würde demnach bewusst von diesen ignoriert.

Als viel schwerwiegender einzuschätzen sei dagegen die Praxis der hinter den Algorithmen stehenden Personen. Diese betreiben mit einer immer stärkeren Tendenz subjektiven und oftmals ideologischen Journalismus. Dies sei zwar, so Netzpiloten, gang und gäbe – immerhin verfolgen auch Tageszeitungen und Blogs oft eine gewisse politische Schlagrichtung und selektieren ihre Beiträge dahingehend. In Anbetracht auf die immer weiter schrumpfende Menge an „Meinungsmachern“ im Netz sei diese Entwicklung dennoch bedenklich. Der Österreichische Standard schreibt dazu: „Facebook betreibt Journalismus unter der Tarnkappe. Hinter den „Trending Topics“ steht ein redaktionelles Team, das quasijournalistischen Leitlinien folgt.“ Gleichzeitig verweigere Facebook allerdings die journalistische Verantwortung, indem es die angeblich neutralen Algorithmen der Trending Topics ins Felde führe.