VON CLEMENS POKORNY | 29.07.2015 19:06

Kommentare im Netz: Von den Tücken der anonymen Kommunikation

Im Internet verhalten sich viel mehr Menschen rüpelhaft als in der realen Welt. Besonders viele „Trolle“ gibt es in Diskussionsforen oder auch in der Wikipedia. Das Problem wurzelt in den in besonderer Weise eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten im Netz. Doch wer sich selbst schon mal bei peinlichen Diskussionsbeiträgen oder E-Mails erwischt hat, kann Techniken einüben, mit denen sich solches Fehlverhalten vermeiden lässt.

Wir haben es fast alle schon einmal erlebt: Man sitzt wahlweise wütend, angeheitert oder allzu euphorisch am Computer und verfasst in diesem Zustand eine Nachricht, deren Versand man spätestens am nächsten Tag bereut. Peinliche Mails können Freundschaften oder Beziehungen zerstören oder sogar den Arbeitsplatz kosten. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis vor kurzem die ersten Programme bzw. Programmfunktionen auftauchten, mit denen man versandte E-Mails wieder zurückholen kann. Sie funktionieren nach unterschiedlichen Prinzipien, aber darum soll es hier nicht gehen. Die Frage lautet: Warum schreiben wir in der virtuellen Welt immer wieder Sätze, die wir in der realen niemals aussprechen würden? Und was lässt sich dagegen tun?

Internet-Trolle

Der hauptsächliche Grund für das Problem liegt auf der Hand: Beim E-Mail-Schreiben wie auch im Internetforum sehe ich mein Gegenüber nicht. Ich kann ihm nicht in die Augen schauen oder seine Stimme hören, kurzum: Online betreibe ich eine Form der Kommunikation, die weitgehend auf den Austausch schriftlicher Informationen reduziert ist. Das bedeutet: Die Reaktionen meines Gegenübers kommen zeitlich derart verzögert, dass ich, anders als im persönlichen Gespräch, meine Aussage nicht auf dessen Verhalten abstimmen kann. Bei einer persönlichen Begegnung versuche ich z.B., einen erregten Menschen zu beruhigen. An Stimme, Mimik und Gestik erkenne ich, ob sie oder er gelangweilt, ungeduldig, freudig u.s.w. ist. Alle diese Informationen fehlen in der virtuellen Kommunikation, die sich auf die Schriftsprache beschränkt. Das erschwert den Austausch miteinander zusätzlich erheblich, weil so z.B. der Tonfall einer Aussage nicht nachvollzogen werden kann. Schließlich gibt es im anonymen Netz auch weniger bis keine soziale Kontrolle, also Menschen, die einem persönlichen Gespräch teilnahmslos beiwohnen oder zumindest sich so nahe befinden, dass es mir peinlich wäre, mein Gegenüber etwa anzuschreien.

Kein Wunder also, dass bei E-Mail-Wechseln oder in Diskussionsforen Missverständnisse häufig auftreten. Sie ziehen Rechthaberei oder schlimmstenfalls Streit nach sich und vergiften so die Diskussion. Und leider wirken die Ordnungsrufe der Administratoren oft nicht, denn die „Trolle“, wie die Störenfriede im Netz genannt werden, haben Spaß an ihrem destruktiven Verhalten und berufen sich nicht selten auf ihre Meinungsfreiheit.

Doch diese räumt niemandem ein Recht darauf ein, gehört zu werden oder vor Kritik geschützt zu sein, wie ein Blogger treffend festgestellt hat. Forenadministratoren haben somit nicht nur moralisch, sondern auch juristisch das Recht, Beiträge zu löschen oder einzelne auszuschließen, wenn diese der Diskussionskultur schaden. Es wäre schön, wenn es seltener als bisher dazu käme; wenn mehr Menschen im Internet sich in die Rolle ihrer Adressaten hineinversetzen würden, bevor sie ihre Meinung veröffentlichen; wenn wir öfters erst einmal tief durchatmeten, bevor wir auf eine tatsächliche oder vermeintliche Provokation reagieren; und wenn wir vielleicht sogar vor der einen oder anderen Nachricht erst eine Nacht über einer möglichen Antwort schliefen. Dann wäre im Juli 2013 folgender Diskussionsbeitrag unnötig gewesen, den User „HubertK“ in einem Online-Diskussionsforum der Tagesschau zur neuen Beliebtheit des Politikers Guido Westerwelle veröffentlicht hat. Freilich wären wir damit um die vergnügliche Lektüre eines weiteren überflüssigen Typus von Online-Kommentaren gebracht worden – gemeint sind die unfreiwillig komischen:
„Warum nur alle die negativen Bemerkungen hier sind, tu ich mich fragen. Herr Westerwelle hatt bewiesen, das er durch aus in der Lage ist und Aussenminister gut gelernt hat. Es macht keinen Sinn ihn ewig zu miniminieren, Westerwelle war schliesslich auch Parteischef der FdP. (...) Er ist gut mit Frau Merkel und immer unterwegs um Sachen zu erledigen für Deutschland. Es ist schon faßt unverschemt ihn ewig zu anzugreifen und zu diskretidieren. Herr Westerwelle hat mehr Respekt verdient weil er fleissig isst und seine Pflicht erfüllt. Dafür sollten wir ihm dankbar sein und nicht staendig auf das Knie treten. Die FdP isst eine gute Partei, die immer nur viel gutes will für die deutschen Bürger hier im Land. Alles daß gemeckere hier ist oft nur einsaitig und ohne Hintergrund weil Westerwelle eben nun mal so isst und bleibt auch Aussenminister mit Frau Merkel in einem Boot.“ (http://meta.tagesschau.de/id/74782/guido-westerwelle-und-ploetzlich-beliebt vom 06.07.2013.)