VON CLEMENS POKORNY | 24.03.2015 13:44

Wohlstand ohne Wachstum?

Gerade in hochentwickelten Ländern definieren viele Menschen Wohlstand über ihr Einkommen im Vergleich zu dem der anderen – und machen ihr Glück damit indirekt vom Wirtschaftswachstum abhängig. Doch die Forschung beweist: Langfristig zerstören wir mit unserem Lebensstil die Grundlagen unseres Glücks. Bewusster Konsum und Verzicht im Sinne von Qualität statt Quantität erhält nicht nur künftigen Generationen unsere Erde, sondern weist auch den Weg zu Glück und einem Wohlstand, der diesen Namen verdient.


Mehrere Umfragen deuten darauf hin, dass ab einem BIP von 20.000 US-Dollar pro Kopf ein weiteres Wirtschaftswachstum nicht mehr zu einem vermehrten Wohlbefinden der Bevölkerung führt. Nach einer anderen Erhebung ist in hochentwickelten Ländern z.B. Europas das Gegenteil der Fall. Hängen Wohlstand und Glück vom Wachstum ab? Und was würde das für unsere Zukunft bedeuten?

World Overshoot Day

Zumindest was die Warenproduktion angeht, sind dem Wirtschaftswachstum durch die Knappheit und Endlichkeit natürlicher Ressourcen Grenzen gesetzt. Diese haben wir allerdings längst überschritten. Bereits seit etwa 1970 konsumieren die Menschen mehr als die Erde ohne Probleme hergeben kann. Die Folgen: Die klimarelevanten Regenwälder weichen Ackerflächen für den Anbau von Futtermitteln, mit denen Rinder für den täglichen Fleischgenuss in reichen Ländern gemästet werden. Böden ermüden und werden z.T. zu Wüste. Durch Umweltverschmutzung werden weitere Flächen dauerhaft für die Nahrungsmittelproduktion unbrauchbar. Die Schuld daran tragen die reichsten 20% der Weltbevölkerung – darunter auch Europa –, die 80% der weltweit produzierten Waren und Dienstleistungen verbraucht. Unser Lebensstil vernichtet unsere Lebensgrundlagen. Der kanadische Forscher William Rees hat die Menschheit daher einmal mit einem Parasiten verglichen, der seinen Wirt – die Erde – überbeansprucht, mit der langfristigen Folge, dass erst der Wirt und dann auch der Parasit irgendwann zusammenbrechen werden. Doch statt die nötigen Konsequenzen aus dieser offensichtlichen Lage zu ziehen und weniger zu konsumieren, rennen Menschen weiter in ihr Verderben: Insbesondere in den aufstrebenden Schwellenländern erstrebt man bekanntlich den Wohlstand Nordamerikas und Europas. Doch wollten die Völker Asiens, Südamerikas, Ozeaniens und Afrikas heute schon unseren europäischen Lebensstil führen, bräuchten wir drei Erdbälle.

Das hat William Rees errechnet, der in den 1990er-Jahren zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Mathis Wackernagel das Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“ entwickelt hat. Dieser gibt an, wie viel Fläche nötig ist, um den Lebensstandard eines Menschen in einem bestimmten Land der Erde zu halten. Die errechneten Zahlen belegen, dass vor allem die Menschen in Nordamerika und Europa ökologisch gesehen über ihre Verhältnisse leben. Und Rees weiß auch: Je höher das Einkommen, desto größer ist im Durchschnitt auch der ökologischer Fußabdruck.

Ein unverzichtbarer Bestandteil der Lösung für diese Probleme liegt sicherlich im Konsumverzicht. Das heißt aber nicht, dass ich als Europäer zwingend weniger verbrauchen muss. Qualität statt Quantität lautet die Devise. Wer bewusst konsumiert, etwa weniger und dafür biologisch produziertes Fleisch, hat einen höheren Genuss. Und um glücklich zu sein, bedarf es keines hohen BIPs oder Einkommens. Eine alljährliche Umfrage des Marktforschungsunternehmens Gallup zeigt immer wieder, dass sich nicht etwa in Mitteleuropa, sondern beispielsweise in Nigeria nach eigener Einschätzung die Menschen zu den glücklichsten weltweit zählen – trotz materieller Armut und Boko Haram. Wohlstand hängt ganz offensichtlich nicht von Wirtschaftswachstum ab, sondern setzt vor allem voraus, dass die menschlichen Grundbedürfnisse erfüllt sind. Und dazu zählen mit Liebe oder auch psychischer Gesundheit Faktoren, die man nicht kaufen kann – und an denen es gerade in reichen Ländern nicht wenigen zu mangeln scheint. Kein Wunder, dass hierzulande allzu viele Menschen Wohlstand über ihr Einkommen definieren!