VON SINEM S. | 14.09.2012 14:11

Tschernobyl - 25 Jahre danach

Am 26.04.1986 passierte das Reaktorunglück im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Lenin im ukrainischen Tschernobyl. Dabei wurden Milliarden radioaktiver Teilchen in die Erdatmosphäre geschleudert, die radioaktive Wolke aus Cäsium, Strontium und Plutonium, die sich dabei bildete, zog über ganz Europa und versetzte auch Deutschland in Angst und Sorge um die eigene Gesundheit.

Nach dem Unglück wurde eine bis heute streng bewachte Sicherheitszone im Umkreis von 30 km eingerichtet, die dort ansässigen Bewohner evakuiert. Sie kehrten nie wieder zurück in ihre Heimat, denn diese war für sie unbewohnbar geworden. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Natur dort brachliegen, und das Leben ausgelöscht würde. Doch es gibt mittlerweile neues Leben in der Sicherheitszone: Radioaktiv verstrahlte Mäuse, die keine sichtbaren Veränderungen am Körper zeigen, und sich scheinbar bester Gesundheit erfreuen, eine vom Aussterben bedrohte Wildpferderasse, die sich munter weiter fortpflanzt und Birkenwälder, die ganze Dörfer verschlingen.

Fukushima

Seit 1986 bieten sich in der Sicherheitszone in Tschernobyl, die für Menschen eigentlich nicht mehr zugänglich ist, faszinierende Forschungsmöglichkeiten der biologischen Folgen eines Supergaus an. Wissenschaftler untersuchen mit einer Sondergenehmigung und ohne Angst um ihre eigene Gesundheit das dort neu entstandene Leben und die möglichen Auswirkungen der radioaktiven Strahlung. Dabei übersteigt diese die zulässigen Werte mitunter um das 1000fache. Radioaktivität gab es schon immer auf der Erde. Sie ist ein normaler Bestandteil der Natur und diese hat natürliche Reparaturmechanismen entwickelt, um keinen Schaden daran zu nehmen.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten nach dem Supergau hat die Natur von Tschernobyl wieder Besitz ergriffen, Pflanzen und Bäume wuchern in verlassenen Wohnorten, wilde Tierrassen wie Bären und Luchse leben friedlich in der Geisterstadt Pripjat. Vögel nisten auf dem zerstörten Betonreaktor. Dort, wo die Strahlung eine Million mal höher ist als die zulässigen Werte. Dabei scheinen sie alle gesund zu sein, und keine sichtbaren Veränderungen aufzuweisen. Forscher fanden heraus, dass eine geringe Strahlenbelastung über längere Zeit, Gene in den Tieren und Pflanzen aktiviert, die in der Lage sind, freie Radikale zu binden. Schlimmer ist also eine kurze, höhere Strahlenbelastung, die kurz nach dem Reaktorunglück das Leben in Tschernobyl auslöschte.

Es sind aber nicht alle Tiere in der Lage, trotz Strahlung zu überleben. Schwalben zum Beispiel, die als Zugvögel nach Afrika fliegen und wieder zurück, verbrauchen auf dem Weg viele lebenswichtige Antioxidantien. Diese sind aber notwendig, um sich gegen die Strahlung zu wehren. So ist die Missbildungsrate bei Schwalben sehr hoch und nur 70 Prozent überleben den Winter. Sie haben zudem auch eine kürzere Lebenserwartung als Populationen außerhalb der Sperrzone.

Unglaublich erscheint auch die Geschichte der Przewalski-Pferde, einer asiatischen Wildpferderasse, die nun in Tschernobyl lebt und sich immer weiter fortpflanzt, obwohl sie eigentlich dem Tode geweiht war. Diese vom Aussterben bedrohte Pferderasse, von denen es weltweit nur noch ca. 2000 Exemplare gibt, stammt aus einem Naturschutzgebiet im Süden der Ukraine. Im Herbst 1998 entschieden Verantwortliche des Tierreservoirs, 21 alte und schwache Pferde in der Sicherheitszone auszusetzen, wohl bewusst darüber, dass die Tiere dort keine Chance mehr haben würden.

Heute leben dort 50 Nachkommen der zum Tode Geweihten und erfreuen sich bester Gesundheit. Forscher vermuten, dass ihre schnelle Verdauung den radioaktiv verstrahlten Gräsern nicht mehr so viel Zeit lässt, um Schäden an den Zellen zu hinterlassen. Die wilden Pferde verfügen zudem über 66 Gene, wohingegen domestizierte Pferde nur 64 Gene besitzen. Auch hier spekulieren die Wissenschaftler auf einen Zusammenhang mit der hohen Widerstandskraft der Tiere. Sie hoffen, ihre Erkenntnisse auf Menschen übertragen zu können, um zum Beispiel die negativen Auswirkungen einer Chemotherapie durch eine längere und dafür mildere Strahlung zu minimieren.