VON DAVID SEITZ | 18.09.2012 13:10

Mobilität: Kein neues Phänomen

Auf den ersten Blick wirkt die heutige Gesellschaft mobiler als jemals zuvor. Globale Netzwerke ermöglichen Reisen in alle Winkel der Welt und bereits jungen Menschen wird nahe gelegt, frühzeitig erste Auslandserfahrungen zu sammeln. Doch Mobilität ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Schon vor vielen hundert Jahren wanderten große Menschenmassen über den europäischen Kontinent. Sie hatten ganz unterschiedliche Motive, doch gemeinsam prägten sie die kulturelle Zusammensetzung der europäischen Staaten, wie wir sie heute vorfinden.

Europa: Ein Kontinent auf Wanderschaft

Wie man heute weiß, wanderten Menschen bereits seit der frühen Neuzeit durch Europa. Gerade zu Zeiten, in denen ein Großteil der Menschen auf dem Kontinent von Ackerbau und Landwirtschaft abhängig waren, war es für viele schlicht unmöglich an einem Ort zu bleiben. Nur wenige verfügten über eigene landwirtschaftliche oder andere ortsfeste Erwerbsgrundlagen, sodass Mobilität gerade im Mittelalter nicht weniger als eine Existenzgrundlage darstellte. Auch im Verlauf der weiteren Jahrhunderte machten Erwerbsmigranten einen Großteil der Wanderer aus. Ob als Söldner, als Seemänner oder als koloniale Angestellte reisten Menschen auch über die Grenzen Europas hinaus um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Unfreiwillige Wanderungen

Doch nicht immer erfolgten die inter und intrakontinentalen Wanderungen aus eigenem Willen heraus. Politische Umsiedlungen, wie beispielsweise die preußische „Peuplierung“ nach dem Dreißigjährigen Krieg oder die „Impopulation“ zu Zeiten der Donaumonarchie, zwangen viele Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und sich einen neuen Lebensmittelpunkt aufzubauen. Ziel solcher Um- oder Neuansiedlungen war es meist, bestimmte Territorien durch die Besiedelung mit Menschen zu besetzen, zu kultivieren und so langfristig zu sichern. Die Konzentration der Bevölkerung auf bestimmte Ballungsräume sollte so verhindert und gleichzeitig eine gewisse Infrastruktur geschaffen werden, was auch in militärischer Hinsicht von Bedeutung war. Wo Menschen lebten konnte eine feindliche Streitmacht nur selten ungehindert passieren.

Ausländer sein Deutschland

Politische Vertreibung, vor allem aus Glaubensgründen waren ein weiterer Grund für eine unfreiwillige Verlagerung der Heimat, der sich durch die Geschichte Europas zieht. Im Unterschied zur heutigen Situation war die Aufnahme von Flüchtlingen im geschichtlichen Kontext jedoch nicht immer eine problematische Situation. Am Beispiel der Hugenotten in Preußen oder jüdischer Flüchtlinge in Mitteleuropa zeigt sich, dass Aufnahmeländer vom Wissen der Flüchtlinge profitieren konnten und sie deshalb mit offenen Armen empfingen. Eine Großzahl der Preußen war im Dreißigjährigen Krieg gefallen – die gut ausgebildeten Hugenotten waren daher beim Wiederaufbau des verwüsteten Landes eine große Hilfe.

5,5 Millionen Deutsche verließen Europa

Gerade die jungen Generationen brachen in Europa zu großen, ausbildungsbedingten Wanderungen auf. Junge Adelige machten sich während der sogenannten „Grand Tour“ auf Bildungsreise durch die bedeutendsten Europäischen Städte und kehrten im Optimalfall kulturell bereichert in ihre Heimat zurück. Auch Handwerksgesellen, gerade in Deutschland, unternahmen im Laufe ihrer Ausbildung von der Zunft vorgegebene Wanderungen. Die größte Menschenwanderung fand jedoch nicht innerhalb Europas, sondern von Europa in die USA statt. Von 1830 bis zum Beginn des ersten Weltkriegs verließen allein 5,5 Millionen Deutsche den Kontinent um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr Glück zu finden.