VON CLEMENS POKORNY | 13.01.2016 16:48

Das schleichende Gift: Quecksilber

Rund sieben Tonnen des hochgiftigen Minerals Quecksilber stoßen unsere Kohlekraftwerke jährlich aus – so viel wie nichts und niemand sonst in Deutschland. Schleichend wird so unsere Umwelt vergiftet und am Ende auch wir selbst. Wenn schwangere Frauen zu viel davon aufnehmen, besteht die Gefahr, dass ihre Kinder u.a. mit Intelligenzminderungen auf die Welt kommen. Dabei ließen sich die Emissionen erheblich senken – doch der Politik fehlt der Mut dazu.

Fast die Hälfte des deutschen Strombedarfs wurde 2013 aus fossiler Kohle gewonnen. Seit 1990 wurde nicht mehr so viel Braunkohle verstromt. Damit ist das braune und schwarze Sedimentgestein Energiequelle Nummer 1 bei uns. Die Mengen an CO2, die bei seiner Verbrennung emittiert werden, tragen neben industriellen und Autoabgasen maßgeblich zum Treibhauseffekt und damit zum menschengemachten Klimawandel bei. Doch in den Kohleemissionen steckt noch eine andere, viel schneller sich bemerkbar machende Gefahr: Quecksilber.

Das Mineral, das wie flüssiges („quick“-lebendiges) Silber aussieht, wurde bereits in prähistorischer Zeit von vielen Kulturen hoch geschätzt. Bassins, ja ganze Flüsse aus diesem Element wurden zu Ehren verstorbener Fürsten oder der Götter angelegt. In der griechischen Antike hielt man Quecksilber für ein Heilmittel. Teilweise wird es bis heute in Zahnersatz-Amalgamen verwendet, obwohl ein Zusammenhang zwischen dieser Nutzung und dem Auftreten schwerer Nervenkrankheiten wie z.B. Morbus Parkinson sich nicht mehr leugnen lässt.

Denn Quecksilber ist hochgiftig. Insbesondere das Gehirn von Föten im Mutterleib wird von ihm in Mitleidenschaft gezogen. So kommen die Kinder mit Intelligenzminderung zur Welt, leiden später an verzögerter Sprachentwicklung, verminderter Aufmerksamkeit und schlechterer Erinnerung als Gleichaltrige in Kontrollgruppen, die Dosen unterhalb der Grenzwerte ausgesetzt waren. Bei EU-weit 1,8 Millionen Neugeborenen pro Jahr wird laut Greenpeace der Grenzwert von 0,58 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht überschritten!

Allerdings nehmen Schwangere das Gift kaum über die Atemwege, sondern vor allem durch den Konsum von Meeresfisch zu sich. Sie sollten daher den Verzehr insbesondere großer Raubfische wie Hai, Schwert- und Thunfisch meiden. Dass das Quecksilber nicht aus natürlichen Quellen in die Körper der Fische gelangt, gilt als sicher. Neben den Abgasen der Kohlekraftwerke, die über den Niederschlag und das Grundwasser irgendwann im Meer landen und 70% des deutschen Quecksilber-Ausstoßes ausmachen, trägt auch hierzulande die Chlor-Alkali-Industrie über ihre Abwässer zum Ausstoß des Stoffs bei.

Lobby gleich Legislative?

Natürlich legt die Politik Emissions-Höchstwerte fest. Die 52 deutschen Kohlekraftwerke emittieren heute schon so wenig wie sie ab 2021 müssen. Das liegt aber nicht daran, dass sich ihre Betreiber so sehr für den Umweltschutz engagierten – im Gegenteil: Im Vergleich ausgerechnet zu den USA sind die europäischen Grenzwerte viel zu großzügig bemessen. Es liegt vielmehr daran, dass an der Festsetzung der Obergrenzen zuletzt fast achtmal so viele Industrie-Lobbyisten beteiligt wurden wie Umweltschützer. Die Verringerung ihrer Quecksilber-Emissionen erreichen die amerikanischen Kraftwerke ironischerweise mit deutscher Technik. Wird vor der Verbrennung ein Bromid auf die Kohle gesprüht, lässt sich das Quecksilber vom Rauchgas trennen, wie ein deutscher Ingenieur herausgefunden hat. So ließen sich gegenüber heute in allen noch nicht mit der entsprechenden Technik ausgerüsteten Kraftwerken bis zu 85% dieser Emissionen vermeiden.

Doch noch wird dieses Verfahren außerhalb der USA kaum angewandt. Dabei ist China im Begriff, noch mehr neue Kohlekraftwerke zu bauen, sodass diese Form der Energiegewinnung bald den traurigen 1. Platz unter den Quecksilber-Emittenten einnehmen dürfte. Bisher steht dort die Goldgewinnung: Mit Quecksilber lässt sich das begehrte Metall aus Sand und Schlamm herauslösen, dabei wird das giftige Element verdampft.

Wie beim Klimawandel bedarf es internationaler Zusammenarbeit, will man die Menge an vom Menschen freigesetzten Quecksilber senken. In Europa müssten neben Spitzenreiter Deutschland auch Polen und Griechenland ihre Quecksilber-Emissionen senken. Doch mögliche Fortschritte im Westen könnten durch Rückschritte in Fernost mehr als zunichte gemacht werden.