VON CLEMENS POKORNY | 20.03.2013 11:52

Hungerstreik: Protest mit dem eigenen Leben

Hungerstreiks bergen ein hohes Risiko. Die bewusste Verweigerung der Nahrungsaufnahme wird bis heute mit wechselndem Erfolg vor allem von politischen Gefangenen praktiziert.

Was verbindet die Politiker Mahatma Gandhi und Julija Tymoschenko? Die Antwort liegt wohl weniger in ihren Überzeugungen oder Leistungen als vielmehr in der Tatsache, dass beide aus Protest gegen Zustände in ihrem Heimatland in den Hungerstreik getreten sind: Gandhi verhinderte einen Bürgerkrieg in Indien; Tymoschenko wehrte sich wiederholt gegen ihre Haftbedingungen. Was aber bringt Menschen eigentlich dazu, ihr Leben für eine politische Stellungnahme aufs Spiel zu setzen? Wie groß ist das gesundheitliche Risiko? Und wie erfolgversprechend sind Hungerstreiks tatsächlich?

Länger als drei bis vier Wochen hält kaum jemand einen Nahrungsentzug aus, ohne dass er bleibende Schäden davonträgt. Nur wenige Menschen lebten etwa doppelt so lange, bevor sie den Hungertod starben. Dazu gehören etwa inhaftierte Terroristen wie Bobby Sands (1954-1981) – ein Mitglied der IRA – oder auch Holger Meins (1941-1974) von der RAF.

Heutzutage kann ein Hungerstreik mittels einer zwangsweise eingesetzten Magensonde gebrochen werden. Dabei wird der Patient auf einer Liege festgeschnallt, sodass er sich nicht bewegen und auf diese Weise die Nahrungszufuhr unterbrechen kann – eine unter anderem im US-amerikanischen Gefängnis von Guantanamo Bay übliche Methode. Sie verstößt allerdings gegen Erklärungen des Weltärztebundes von 1975 und 1992, nach denen Mediziner sich nicht an Maßnahmen zur Zwangsernährung beteiligen dürfen. Erst, wenn das Leben eines Menschen akut gefährdet ist (wie z.B. bei einem Psychatriepatienten mit Essstörung), ist es für Ärzte moralisch vertretbar, ihn zwangszuernähren, um sein Leben zu retten.

Entfachte Demokratie

Wer sein Leben für die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen, zur Durchsetzung privater oder allgemein-politischer Forderungen riskiert, begibt sich in den Kreis von einer Milliarde Menschen, die weltweit unfreiwillig und meist chronisch hungern. Anders als diese nimmt der Hungerstreikende allerdings auch dann keine Nahrung zu sich, wenn er sie haben könnte. Nahrungsverweigerung hat ferner nur dort einen Sinn, wo (so gut wie) alle Menschen genug zu essen haben – sonst würde man sich ja nicht von den anderen Hungernden abheben können: In den Hungerstreik treten fast nur Menschen in Industrie- und Schwellenländern. Die Androhung eines langsamen Suizids soll jene unter Druck setzen, die vom Hungerstreikenden für seine Situation verantwortlich gemacht werden, und sie zugleich öffentlich anklagen. Häufig handelt es sich bei den Nahrungsverweigerern um politische Gefangene. Angehörige inhaftierter RAF-Terroristen machten und machen bis heute deren Lebensbedingungen öffentlich, in Reaktion auf einen Hungerstreik Ende der 1980er-Jahre.

Doch nicht alle derartigen Streiks richten sich gegen staatliche Institutionen. Ein Oberpfälzer beispielsweise protestiert damit, alternativ zur Occupy-Bewegung, gegen die Deutsche Bank, die laut seinem Weblog sein Geld „minimalisiert“ habe. Wie jede Demonstration lebt auch diese von der öffentlichen Wahrnehmung. Google liefert zum Namen des bayerischen Hungerstreikenden lediglich einen echten Treffer – seinen Blog. Kein Wunder, scheint sich der Demonstrant doch nicht mit Gleichgesinnten zu vernetzen, um etwa darauf aufmerksam zu machen, dass sein Schicksal keinen Einzelfall darstelle und die Unzufriedenheit mit dem Kreditinstitut weit verbreitet sei. Bislang hat kein einziges einschlägiges Medium seinen Protest publik gemacht.

Ebenso wenig Wirkung haben bislang die Aktionen von Julija Tymoschenko gezeigt. Mit ihrem von April bis Juni 2012 andauernden Hungerstreik erreichten dagegen rund 1600 Palästinenser eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen. Um noch – wie vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren – als politische Instrumente dienlich sein zu können, erzeugen Hungerstreiks in Zeiten von öffentlichen Selbstverbrennungen und Suiziden live im Internet aber wohl oft keine ausreichend großen Eklats mehr.