VON LISI WASMER | 03.07.2013 14:08

Kosmopolitische Dosennudeln und traurige Rinder-Patties

Lebensmittelskandale sind eine unangenehme Angelegenheit. Gammelfleisch, Ratten in Großbackstuben – wenn der investigative Journalismus uns mal wieder aufzeigt, wovon wir uns tagein tagaus ernähren, kann einem schon mal der Appetit vergehen. Komisch nur, dass wir scheinbar Anlässe wie die Hygienemängel bei Müller brauchen, um uns Gedanken darüber zu machen, was es mit unserem Essen eigentlich auf sich hat. Dann wird zwei Wochen lang mit dem Kopf geschüttelt und nur noch Biobrot gekauft. Danach geht alles wieder seinen gewöhnlichen Gang und die wichtigsten Fragen bleiben unbeantwortet: Was ist eigentlich drin in unserem Essen? Und wo kommt es her?

Wo kommt unser Essen her? Am besten aus der Region. Das ist nicht nur ökologisch vernünftig, das kommt auch gut beim Kunden an, wie etwa große Fastfood-Ketten schon lange begriffen haben. 2010 schaltete McDonald’s beispielsweise eine Werbekampagne, in der suggeriert wurde, für die Burger beziehe man ausschließlich Fleisch von gut gehaltenen, glücklichen Rindern. Das mag für einige der 100.000 Rinderzuchtbetriebe, von denen das Unternehmen das Fleisch für seine Burger-Patties bezieht, durchaus zutreffen. Fakt ist jedoch, dass die teils selbst auferlegten Qualitätsstandards des Unternehmens zwar verhältnismäßig streng sind; die Kontrollen enden in aller Regel aber im Schlachthaus. Die Güte des Fleischs wird zertifiziert, die Haltung der Tiere nicht – dabei gäbe es hier in einigen Betrieben durchaus Grund zur Beanstandung, was eine Reportage des Marktreporters Matthias Rauch für den WDR eindrücklich nachweist.

Die Lebensmittelindustrie – ein ungesundes Übel?

Polyglotte Ravioli

Die Frage nach dem Woher unserer Lebensmittel kann sich aber nicht nur auf die Güte von Tierhaltung beziehen. "Canned Dreams", ein Film der 2012 auf der Berlinale gezeigt wurde, zeigt das ebenso eindrucksvoll wie auch beklemmend am Beispiel einer Dose Ravioli. Regisseurin Katja Gauriloff verfolgt mit ihrem Team den Weg der Konserve durch Europa, von den Getreidefeldern in der Ukraine über die Schweinefarm in Dänemark bis zur Abpackfabrik in Frankreich. Sieben Länder mussten sie bereisen und 30.000 Kilometer zurücklegen, um die Zutaten des Fertigessens auf ihrem Weg bis in die Supermarktregale zu begleiten.

Die Dose stehe für die Absurdität der Lebensmittelproduktion, heißt es in der Filmbeschreibung. Eine Absurdität, wie sie früher unmöglich Realität hätte sein können. Denn bevor die Globalisierung die Lebensmittelindustrie erreichte, wäre eine Nudelkonserve mit Getreide aus der Ukraine, Olivenöl aus Italien, Tomaten aus Portugal, Schweinefleisch aus Dänemark und Eiern aus Frankreich nicht denkbar gewesen. Heute ist das anders.

An unser Essen stellen wir gerade in hektischen Zeiten oft nur drei Forderungen: Es soll günstig sein. Es soll halbwegs gut schmecken. Und es muss vor allem schnell gehen. Würden wir uns hingegen die Zeit nehmen, zumindest einmal die Zutatenauflistung auf der Dose zu lesen, wir würden feststellen, dass unsere Mahlzeit mehr Sprachen spricht als wir.

Eine Dose voller Geschichten

Was Gauriloff in ihrem Film ebenfalls zeigt: In einer Nudelkonserve stecken nicht nur viele Nationalitäten. In ihr verbergen sich auch unzählige Geschichten. Von der Tomatenpflückerin aus Portugal zum Beispiel, die versucht, ihrer Tochter die Ausbildung an der Universität zu ermöglichen. Oder vom dänischen Schweinezüchter, der so gerne auch einmal eine Freundin hätte. Beklemmend auch das Portrait des polnischen Schlachters, der erst seinen Rindern die Kehle aufschneidet, um sie ausbluten zu lassen, bevor er in der nächsten Szene davon erzählt, wie seine Frau ihm das Herz brach, als sie ihn mit einem anderen Mann betrügt. All das sind Inhaltsstoffe, die so nicht auf dem Etikett zu lesen sind.