VON JOACHIM SCHEUERER | 29.07.2013 15:37

Abenteuer Einkauf - schöner Schein im Lebensmittelregal

Gelatine im Frischkäse, im Pudding und im Saft, tierisches Lab im Käse und in Kartoffel-Chips, Schellack in den Süßigkeiten – das hatte Jochen, 23, nun wirklich nicht erwartet als er sich vor kurzem dazu entschied, Vegetarier zu werden. Davor hatte er sich nie wirklich Gedanken über die Zusammensetzung seiner Lebensmittel und Kosmetikartikel gemacht, geschweige denn die kleingedruckten Angaben zu den Inhaltsstoffen auf der Verpackung gelesen. Nun begann Jochen erst das Ausmaß des Durcheinanders und der Ungereimtheiten in der modernen Lebensmittelbranche zu erkennen, die uns oft viel verspricht, aber wenig verrät.

Menschen die sich entschließen, ihre Ernährung umzustellen, haben logischerweise einen skeptischeren und bewussteren Blickwinkel auf Essensgewohnheiten und Lebensmittel. Doch seit einigen Jahren nehmen nicht mehr nur Vegetarier, Veganer oder religiös motivierte Konsumenten Nahrungsmittel genauer unter die Lupe. Immer mehr Menschen hinterfragen die Herkunft der Produkte und die Machenschaften der Industrie, welche oft davon spricht, sich ja bloß den Bedürfnissen ihrer Kunden anzupassen. Doch die Aufklärungsbestrebungen der vergangenen Jahre, angestoßen durch "Gammelfleisch" und Co., zeichnen ein anderes Bild. Der Kunde scheint zunehmend etwas anderes, gesünderes, natürlicheres zu wollen, aber oftmals gar nicht so richtig zu wissen oder vielmehr wissen zu können, was er da eigentlich zu sich nimmt. Denn während Mensch laut eines Sprichwortes ist, was er isst, ist unser Essen schon lange nicht mehr, was es zu sein scheint.

Regional einkaufen – ohne viel Aufwand Gutes für die Umwelt tun?

Konventionelle Nahrungsmittel sind längst kontrollierte Hightech-Produkte, bis auf das kleinste Geschmacksdetail optimiert mithilfe künstlicher Aromen und anderer Zusatzstoffe, die aufgrund einer lückenhaften Gesetzgebung nicht immer aufgeführt werden. So müssen zwar die Verkehrsbezeichnung, ein Zutatenverzeichnis aller Zutaten in der Reihenfolge ihres Gewichtsanteiles, das Mindesthaltbarkeitsdatum, die Füllmenge, Firmenname- und anschrift, sowie der Preis laut Gesetz kenntlich gemacht sein. Dabei gibt es jedoch Spielräume und nicht alles, was drin ist, steht auch immer drauf. Schon die Formulierung der Verkehrsbezeichnung kann in die Irre führen. In einem Joghurt mit "Erdbeergeschmack" müssen z.B. keine Erdbeeren enthalten sein, Aromen reichen aus. Es muss nicht einmal viel Joghurt in einem Joghurt enthalten sein. Mithilfe des Verdickungsmittels Johannisbrotkernmehl, einem halben Liter Wasser, einiger Tropfen des gewünschten Fruchtaromas, Zitronensäure und vier Löffeln Joghurt lässt sich etwas herstellen, das aussieht wie Joghurt, schmeckt wie Joghurt, aber eben nur zu geringen Teilen Joghurt ist, wie z.B. der deutsche Fernsehkoch Tim Mälzer im Rahmen seiner Dokumentation "Deutschland isst... mit Tim Mälzer: Leben aus der Tüte" vor kurzem vorführte.

Unverpackte Ware an Supermarktstheken muss bis auf etwaige Zusatzstoffe wie z.B. Farbstoffe keine Inhaltsangaben aufweisen, wenngleich dem Supermarktspersonal vielerorts Zutatenkataloge zur Verfügung stehen, um Kunden Auskünfte geben zu können. Wer schon einmal nachgefragt hat, weiß jedoch, wie dürftig jene manchmal ausfallen. Desweiteren müssen z.B. auch Zusatzstoffe die in einer Zwischenstufe des Herstellungsprozesses Verwendung finden, im Endprodukt aber keine sichtbare Funktion mehr erfüllen, nicht gekennzeichnet sein, es sei denn, sie gehören zur Gruppe der Hauptallergene. So muss z.B. Gelatine, die gerne als Klärungsmittel bei der Wein-, Bier- und Fruchtsaftherstellung benutzt wird, zum Ärgernis vieler Vegetarier nicht aufgelistet werden.

Wie soll Jochen jenen Umständen nun aber begegnen? Mittlerweile sind dem Verbraucher viele hilfreiche Instanzen an die Hand gegeben, angefangen bei Aufklärungsportalen wie jenem der Verbraucherzentrale, "foodwatch" oder diverser Tierrechtsorganisationen wie Peta. Zu den zahlreichen Zusatzstoffen, auch als E-Nummern bekannt, gibt es einen aufschlussreichen Prospekt der Verbraucherzentralen. Außerdem besteht die Möglichkeit, durch Fragen und Beschwerden direkt auf den jeweiligen Hersteller einzuwirken. Hohes C verzichtet beispielsweise aufgrund des Verbraucherdrucks nun auf Fischgelatine als Trägerstoff für ihre Säfte. Desweiteren besteht die Möglichkeit Bioprodukte zu kaufen, welche zwar nicht komplett ohne auskommen, aber mit deutlichen Einschränkungen auf Zusatzstoffe zurückgreifen.

Die Auseinandersetzung mit unseren Ernährungsweisen ist gleichzeitig Teil einer allgemeineren Konfrontation mit unserer Hochgeschwindigkeits- und Technologiegesellschaft. Würde man die Zubereitung des Essens wieder verstärkt selbst in die Hand und sich mehr Zeit zum Genießen nehmen, könnte man auch die Täschungsmanöver der Industrie besser umgehen. Sicherlich, in unserer modernen von Zeitknappheit geprägten Welt ist das ein Luxus, aber einer der das Geld und die Zeit wert ist.