VON SINEM S. | 06.06.2012 17:14

Das netteste Gefängnis der Welt

Bastoy, Norwegen. Ein Gefängnis auf einer Insel, die man auch als Postkarte verschicken könnte. Felsige Küsten, rotgestrichene Häuschen. Das Besondere an der Insel ist, dass auf ihr Schwerverbrecher leben. Den Schlüssel zur „Zelle“ haben die Gefangenen in der Hosentasche. Hier leben und arbeiten sie, Menschen, die woanders womöglich in Sicherheitsverwahrung bleiben müssten. Die Norweger selbst begrüßen diese Art von Bestrafung, ihnen geht es nicht um Rache, sondern um eine konstruktive Art, Verbrecher ihre Strafe abbüßen zu lassen.

Bastoy, die Gefängnisinsel, ist wohl einzigartig. Seine Bewohner, allesamt Verbrecher, sonnen sich am Strand oder gehen fischen. 115 Insassen, die wegen Raub, Mord, Vergewaltigung oder Drogendelikten verurteilt wurden, leben in Hausgemeinschaften, kochen abends zusammen und besorgen sich ihre Einkäufe selbst. Manch einer würde dafür bezahlen, seine Ferien dort zu verbringen, doch die Bewohner Bastoys müssen auf der Insel bleiben. Die Flucht wäre möglich, ist aber seit der Gründung 1982 nur einmal vorgekommen. Jeder darf einen Fernseher haben, gearbeitet wird auf jeden Fall. Auf der Insel gibt es genug Beschäftigungsmöglichkeiten für die Verurteilten. Auch was Kleidervorschriften betrifft, ist Bastoy kein normales Gefängnis: Getragen wird, was gefällt. Die Wärter tragen keine Waffen, und sind auch absichtlich unterbesetzt. Es scheint zu funktionieren, das Konzept des Vertrauens und der Freiheit, selbst zu entscheiden.

Urvertrauen

Arne Kvernik Nilsen, ehemaliger Psychologe und Direktor Bastoys, ist zufrieden mit dem Modell. Warum bestrafen, wenn man den Menschen auch Menschlichkeit nahebringen kann. Die Zahlen sprechen für sich: Nur 16% der Strafgefangenen Bastoys werden zwei Jahre nach ihrer Entlassung wieder rückfällig. In anderen Gefängnissen Norwegens sind es 20%. Vergleicht man diese Zahlen mit Amerika, ist es erstaunlich, was Bastoy vollbringen kann. Denn dort werden mindestens 43% der Insassen wieder rückfällig, manche gehen sogar von mehr als der Hälfte aus. Doch das Konzept wird kontrovers diskutiert. Aus der Perspektive der Opfer ist es für manche purer Hohn, dass Täter nicht büßen, sondern auch noch ein angenehmes Leben auf Bastoy führen dürfen. Doch Pädagogen halten dagegen: Es soll eben nicht um Vergeltung gehen, sondern Verbrecher bereits während ihrer Strafe resozialisieren. Was sie auf der Insel lernen, das Zusammenleben mit anderen, die Verantwortung für andere, das brauchen sie in der Welt da draußen, um Stabilität zu erlangen und so die Risikofaktoren zu minimieren, die sie wieder in alte Muster fallen ließen. Wer respektiert wird, der lernt selber zu respektieren. Das soll Bastoy lehren - und es funktioniert.