VON DAVID SEITZ | 11.10.2012 17:01

Ausbeutung: Günstiger Mensch, teure Maschinen

„Kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe - meine neuen Sneakers sind leider geil,“ singt die deutsche Elektro-Band Deichkind in ihrem Hit „Leider geil.“ Der fasst den Zeitgeist einer Generation in Worte, die - wie selbstverständlich – umgeben von modernster Technik, feinen Stoffen und prallem Portemonnaie aufwächst. Und: Die zitierte Zeile hat einen wahren, wie dramatischen Hintergrund. Importierte Ware, die den Lebensstandard in Deutschland und anderen Industrienationen sichert, wird in vielen Fällen noch immer von Menschenhand, jedoch zu menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt. Was Maschinen könnten, macht gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern noch der Mensch – weil er billiger ist.



Ein bekanntes Problem

Eigentlich ist es fast jedem bekannt und doch ignorieren viele wohlhabende Menschen hierzulande die Tatsache, dass ein Großteil ihrer Konsumgüter einen nicht gerade ethisch vertretbaren Produktionsweg hinter sich hat – auch weil nur selten prominent darüber berichtet wird. Aufmacher über Billiglöhne und Ausbeutung in Indien sind für die meisten Medien nicht mehr besonders attraktiv, weil alt. Nichtsdestotrotz dringen von Zeit zu Zeit Meldungen auch bis in die deutschen Medien vor, die aufhorchen lassen und einem die Realität vor Augen führen: Im aktuellsten Fall kam es Anfang Oktober zu einer Massenschlägerei in einer chinesischen Produktionsfirma für Elektronikartikel. Ein Mitarbeiter packte darauf hin aus und schilderte der ARD seinen Lebensalltag.

Sein Leben – so beschreibt es der junge Chinese anonym gegenüber dem deutschen Medienvertreter – drehe sich nahezu restlos um seine Arbeit bei Foxconn. Er schläft im eigens eingerichteten Wohnheim für Firmen-Mitarbeiter, 12-Stunden-Schichten sind der Normalfall. Einen Tag die Woche nimmt sich der junge Mann frei – eine Ausnahme unter seinen Kollegen, die meist sieben Tage pro Woche arbeiten. Ihr Gehalt: 2500 Yuan, also umgerechnet 300 Euro. Doch es ist nicht die Bezahlung, die das Arbeiten in dieser Form so fragwürdig macht. Mit ihrem Verdienst liegen die Arbeiter bei Foxconn sogar tendenziell über dem Durchschnitts-Verdienst der ländlichen chinesischen Bevölkerung.

Fragwürdige Bedingungen

Es sind vielmehr die Bedingungen unter denen die Menschen in vielen Entwicklungsländern arbeiten, die dem Endverbraucher zu denken geben sollten. Nach Angaben der Kontaktperson bei Foxconn bleibt den chinesischen Mitarbeitern in der Produktion kaum Privatsphäre. Sie stehen unter ständiger Beobachtung und müssen mit schweren Sanktionen rechnen, sobald sie beispielsweise mit Kollegen sprechen. Durch die Überstunden bleiben pro Tag nur 1-2 Stunden Freizeit, die sie zusammen mit nahezu fremden Menschen im Wohnheim verbringen. Zum sozialen Austausch bleibt dabei kaum Zeit, psychischer und physischer Stress schaukelt sich auf. Eine Schlägerei, wie sie bei Foxconn ausbrach, bildet das Ventil für die Anspannung der Mitarbeiter.

Chinas grüne Revolution

Es sind Einzelbeispiele, die ein flächendeckendes Problem beschreiben: Eine auf Spiegel Online veröffentlichte Studie brachte beispielsweise ans Licht, dass sich zwar fast alle großen Handy-Hersteller mittlerweile selbst dazu verpflichtet haben, Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen an allen Produktionsstandorten zu gewährleisten, die Einhaltung jedoch nur an einem Ende der Lieferkette tatsächlich durchgesetzt wird. An der Basis, an Produktionsstätten wie in China oder auf den Philippinen gelten diese Standards jedoch offenbar nicht, wie in der Studie erläutert wird. Billiglöhne zwingen die Arbeiter förmlich dazu, Unmengen an Überstunden einzulegen, was im Umkehrschluss zu einem drastischen Schwund an Freizeit und Regenerationszeit führt.

Dass sich gegen die katastrophalen Bedingungen kein Widerstand regt, hat indes verschiedene Ursachen. Einerseits hält die Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle viele davon ab, ihren Unmut zu äußern. Versuche, sich als Opposition zu formieren, werden andererseits oft durch gezielte Maßnahmen des Managements im Keim erstickt. Die Stimmen der Opfer dringen weder nach innen, noch nach außen – sie schweigen um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Vielleicht nimmt man sie gerade deshalb in den Industrieländern nur unterschwellig wahr.