VON MAXIMILIAN REICHLIN | 03.05.2016 13:51

Toleranz unter Jugendlichen – Die SINUS-Studie 2016 über die „Generation Mainstream“

Ende April erschien in Deutschland die SINUS-Studie 2016. Dabei gingen die Jugend-Forscher in diesem Jahr zum ersten Mal auch auf Themen wie die Flüchtlingskrise sowie Fragen der Toleranz ein. Zusammenfassend halten die Autoren fest: Deutsche Jugendliche werden immer angepasster, sind immer weniger rebellisch. Gleichzeitig nimmt die Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu. Damit gehört Toleranz zu einem geradezu verbindlichen Wert der „Generation Mainstream“. Kritische oder extreme Ansichten finden sich allenfalls in den Randgruppen, die in der Studie definiert wurden, etwa bei den sogenannten „Prekären“.

Bereits zum dritten Mal untersuchten Forscher des SINUS-Instituts in diesem Jahr Meinungen, Ansichten und Gewohnheiten von deutschen Jugendlichen. Dazu wurden insgesamt 72 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in einem mehrstufigen Prozess zu ihren Lebensumständen befragt. Anschließend definierten die Forscher sieben Milieus, in die sich die Jugendlichen einordnen ließen. Die Fragen bezogen sich dabei auch auf aktuelle gesellschaftliche Probleme, allen voran die Flüchtlingskrise. Ein zusammenfassendes Ergebnis: Jugendliche in Deutschland pflegen Toleranz mittlerweile, wie nie zuvor. Studienautor Marc Calmbach stellt fest: „Die Akzeptanz von Vielfalt nimmt zu“. Das beziehe sich nicht nur auf die Herkunft, sondern auch auf die Religion sowie die Zugehörigkeit zu einer anderen sozialen Schicht.

Generation Mainstream = Generation Toleranz

Das zentrale und laut SINUS-Sudie größte Jugend-Milieu ist das der „Adaptiv-Pragmatischen“. Hier finden sich Jugendliche mit mittlerer bis hoher Bildung und einer modernen Orientierung. Sie verstehen sich gut mit ihren Eltern, rebellieren nicht und planen ein geordnetes Leben mit einem sicheren Job. Die Forscher bezeichnen diese Gruppe als „leistungs- und familienorientierten modernen Mainstream“; bezeichnend sei eine „hohe Anpassungsbereitschaft“. Das kann durchaus auch kritisch betrachtet werden. So fürchtet Studienautor Calmbach, dass diese „Überanpassung“ auf Kosten der Kreativität der jungen Erwachsenen gehen könnte, und wünscht sich „ein bisschen mehr Reibung“, vor allem zwischen Jugendlichen und Elternhaus.

Gewalt unter Jugendlichen

Andererseits habe der „Neo-Konventionalismus“, wie die Studie den neuen Trend zur Anpassung bezeichnet, auch positive Auswirkungen. So schlage sich der Wunsch der Jugendlichen nach Ordnung, Geborgenheit und Krisenfreiheit auch auf die Toleranz nieder. Diese darf mittlerweile als verbindlicher Wert der „Generation Mainstream“ betrachtet werden, wie die Interviews mit den Jugendlichen ergaben. Sowohl die kulturelle, als auch die religiöse oder sexuelle Heterogenität sei in der Lebenswelt der Jugendlichen weitverbreitet und werde akzeptiert. Das gelte sowohl für das zentrale Milieu der Adaptiv-Pragmatischen, als auch für andere Jugendgruppen, etwa die „Sozialökologischen“, die „Bürgerlich-Konservativen“ oder die „Expeditiven“.

Die Forscher erklären sich diese hohe Toleranz vor allem durch die Auswirkungen von Globalisierung und Flüchtlingsströmen. So wachsen Kinder und Jugendliche, besonders in den großen Städten, bereits heute in einer multi-ethnischen Gesellschaft auf, die viele verschiedene Lebensstile zulässt. Die „post-migrantische“ Gesellschaft von Morgen kennt daher auch nur wenig Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und neigt auch nicht zu extremen Meinungen. Gerade die befragten muslimischen Jugendlichen distanzierten sich in Interviews ausdrücklich vom radikalen Islamismus.

Fehlende Toleranz gibt es höchstens noch bei Randgruppen

Anders verhält es sich bei der kleinen Randgruppe der „Prekären“. Diese zeichnen sich in der Studie durch einen größtenteils geringen Bildungsstand und eine traditionelle Grundeinstellung aus. Ihrer späteren schlechten Chancen im Berufsleben sind sie sich bewusst, dennoch fühlen sie sich ausgegrenzt. Ein Credo dieser Gruppe: „Ich kümmere mich nicht um die Gesellschaft, denn die Gesellschaft kümmert sich nicht um mich“. Dementsprechend niedriger ist in diesem vergleichsweise kleinem Milieu die Toleranz von Andersartigkeit. Deutsche „Prekäre“ stehen Flüchtlingen kritisch, Ausländern verhalten bis offen feindselig gegenüber.

Das liege, so die SINUS-Studie, vor allem an tradierten Stereotypen von Ausländern, die in den bildungsschwachen Schichten nicht hinterfragt würden. Beispielsweise, dass Ausländer deutsche Arbeitsplätze stehlen oder Frauen schlecht behandeln. Jugendliche aus einer prekären Lebenswelt seien daher auch „anfällig gegenüber rechtspopulistischen Klischees und extremen politischen Positionen“, so die Studienautoren. Bei diesen weniger toleranten Jugendlichen handele sich allerdings um „Ausbrecher“. Insgesamt lautet das Fazit der SINUS-Studie übereinstimmend: Die Jugend rückt zusammen und macht erstmals Schluss mit Ausgrenzung und Provokation. Zum Guten, wie zum Schlechten.