VON LISI WASMER | 22.01.2013 13:16

Privatisierung: Wenn das Wasser der Industrie gehört

Es ist eine Milchmädchenrechnung wie sie im Buche steht: Ich bin pleite, also verkaufe ich meine Kuh. Das bringt Geld. Einmal. Und davon kann ich die Milch dann teuer zurückkaufen. So ähnlich klingt es, wenn die EU-Kommission beschließt, die Wasserversorgung EU-weit zu privatisieren. Das ist gut für die Wasserindustrie. Und für uns?

Es ist eine Geschichte, die wir eigentlich nur im Zusammenhang mit Dritte-Welt-Ländern kennen. Eine Geschichte über das Menschenrecht auf Zugang zu Wasser, über Lobbyismus und vor allem über Geld. Viel Geld. Das fehlt den Kassen der EU-Staaten in Zeiten der Finanzkrise mehr denn je. Deshalb sollen jetzt neue Mittel im wahrsten Sinne des Wortes „flüssig“ gemacht werden: Portugal und Griechenland werden von Troika aus EU, IWF und EZB bereits gezwungen, ihre Wasserversorgung zu privatisieren. Nach einer neuen Richtlinie soll das bald auch für alle anderen EU-Staaten gelten.

Es geht um Geld.

Lobbyismus – Macht und Gemeinwohl

Für die Länder heißt das: Die Wasserversorgung soll nicht mehr öffentlich finanziert werden, Wasserwerke sollen an private Investoren veräußert werden. Laut Amnesty International könnten so jährlich ca. zehn Milliarden US-Dollar für Wasserver- bzw. Abwasserentsorgung gespart werden. Das „World Water Council“ spricht sogar von hundert Milliarden US-Dollar pro Jahr. Kein Wunder, besteht es doch hauptsächlich aus Vertretern der französischen Wasserindustrie und multinationalen Finanzinstituten.

So oder so: es geht um viel Geld. Geld, das nur durch die Einbringung privaten Kapitals aufgebracht werden kann, so der allgemeine Tonus in der derzeitigen Wasserpolitik. Was man mit Sicherheit sagen kann: Wasser ist wertvoll. Die EU-Kommission schätzt in einer Pressemitteilung vom Mai 2012, dass der globale Wassermarkt bis 2020 einen Wert von 20 Billion US-Dollar erreicht.

Was bedeutet Wasser-Privatisierung?

Kein Wunder also, dass es keinen Mangel an Investoren gibt, die gerne bereit sind in das Milliardengeschäft Wasserversorgung einzusteigen. Das Problem ist nur, dass es gerade diese Investoren sind, nach denen sich die EU-Kommission mit ihrer Richtlinie zur Wasser-Privatisierung ausrichtet. Die Mitgliederliste der Beratergruppe für Wasserpolitik der EU-Kommission liest sich wie das Who-is-Who der Wasserindustrie, wie ein Beitrag des ARD-Magazins „Monitor“ zeigt.

Fragt man aber betroffene Privatpersonen wie etwa die Bürger von Pacos de Ferreira in Portugal, wo die Wasser-Privatisierung bereits umgesetzt wurde, hält sich die Euphorie gelinde gesagt in Grenzen: „Wir hatten 400 Prozent Preiserhöhung in wenigen Jahren“, sagt ein Bewohner gegenüber „Monitor“. Die Redakteure der Sendung weisen außerdem darauf hin, dass eine Wasser-Privatisierung in der Regel auch Qualitätseinbußen bedeuten: Die Instandhaltung der Rohrsysteme würde zugunsten wirtschaftlicher Erträge vernachlässigt, Chemikalien zur Aufbereitung des Wassers würden hinzugefügt werden.

Widerstand im Internet

Alles in allem scheint die Wasser-Privatisierung langfristig einzig und allein der Wirtschaftsindustrie zu dienen. Deshalb regt sich nach Bekanntwerden der Pläne der EU-Kommission bereits deutlicher Widerstand in der Bevölkerung: Vor allem über das Webportal Facebook werden EU-Bürger dazu aufgerufen, ihre Unterschrift für eine Europäische Bürgerinitiative gegen die Privatisierung der Wasserversorgung zu unterschreiben. Die Verantwortlichen sind zuversichtlich, bis September die dafür notwendige Grenze von einer Million Unterschriften zu erreichen. Derzeit haben sich über 300.000 EU-Bürger eingetragen.

Selten ist die unmittelbare Bedeutung für den Alltag so deutlich, wenn EU-Kommissare in ihren Verhandlungsräumen neue Richtlinien beschließen. Das schnelle Geld ist für krisengebeutelte Staaten verlockend. Genauso wie für die Wasserindustrie.