VON CLEMENS POKORNY | 21.11.2014 15:34

Evolution: Erfolg durch Vielfalt

Die Natur hat immer Recht. Diese Weisheit lässt sich besonders deutlich an der Entwicklung des Lebens demonstrieren. Alle organische Materie wird in der Biosphäre wiederverwertet, es fällt kein Abfall an, der nicht noch irgendwie brauchbar wäre. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die vorhandenen Ressourcen seit Beginn der Evolution auf vielfältige Weise genutzt werden. Ganz anders wirtschaftet der Mensch – und bringt damit seine eigenen Lebensgrundlagen an den Rand des Untergangs.

Die Selbstheilungskräfte der Erde, die hochgradige Komplexität vieler Lebensformen, die perfekte Harmonie aller organischen und anorganischen Substanzen in der Natur: Unser Planet und seine Bewohner erscheinen manchen zu vollkommen, um als Ergebnis eines primär von Zufällen bestimmten Evolutionsprozesses interpretiert werden zu können. Hat da nicht eine höhere Macht ihre Finger planend im Spiel gehabt?

Hypotopia

Eines übergehen die Anhänger der Theorie eines intelligent design lieber: Das Leben hatte immerhin 3,8 Milliarden Jahre Zeit, sich zu entwickeln. Seit 400 Millionen Jahren gibt es schon höheres Leben auf dem Land. Hunderte Millionen verschiedene Spezies hat die Biosphäre bisher laut dem gemeinnützigen Heidelberger UPI-Institut („Umwelt und Prognose“) hervorgebracht. Das bedeutet: Mittels harter Selektionsprinzipien (Fressen und Gefressen werden, Konkurrenz, Egoismus, ...) haben sich diejenigen Arten und innerhalb der Spezies diejenigen Individuen durchgesetzt, die zufällig in ihrer jeweiligen Umwelt die größten Chancen hatten, zu überleben und sich fortzupflanzen. So ist es immer auch nur eine Frage der Zeit, bis Lebewesen entstehende ökologische Nischen besetzen – man denke nur daran, wie schnell Waldtiere wie Amseln oder Wildschweine die Stadt als Lebensraum entdeckt haben. Biologische Vielfalt (Biodiversität) als erfolgreiches Prinzip der Evolution zeigt uns, dass Ressourcen dann am effizientesten genutzt werden, wenn dies auf vielfältige Art geschieht, nichts ungenutzt bleibt – und wenn Kreislaufwirtschaft betrieben wird.

Denn die Natur ist eine Meisterin des Recyclings. Lebewesen bedienen sich toter Materie als Grundlage für neues Leben. Davon gibt es auf unserem Planeten genug: 1020 Tonnen Biomasse sind im Laufe der Erdgeschichte aus abgestorbenem Leben entstanden. Nach Berechnungen des UPI-Instituts war jedes Atom des wichtigsten Rohstoffs der Biomassenproduktion, Kohlenstoff, durchschnittlich (!) schon 600-mal Bestandteil organischer oder anorganischer Verbindungen. Jeder von uns enthält statistisch gesehen 500 Milliarden Kohlenstoffatome, die ein einziger beliebiger Mensch in der Antike produzierte! In der Biosphäre werden mit Hilfe des „Lösungsstoffes“ Wasser Rohstoffe als Baustoffe des Lebens immer wieder neu verteilt – auf eine offensichtlich sehr effiziente Weise. Und das Beste dabei ist: Es fällt kein Abfall an, der für die Biosphäre schädlich wäre, sondern alles abgestorbene Leben wird wiederverwertet.

Der Mensch wirtschaftet bekanntlich ganz anders. Beispiel Energiequellen: In der Natur wird alle entstehende Energie optimal genutzt, während der Energienutzungsgrad in Deutschland lediglich 30% beträgt; die Natur kennt bei der rein regenerativen Energiewandlung keine nicht-verwertbaren Reste, während bei der Gewinnung von Energie aus fossilen Energieträgern, die 90% an der gesamten hiesigen Energiegewinnung ausmacht, ausschließlich Abfälle anfallen (Abgase, Atommüll etc.). Dem nachhaltigen und auf Wiederverwertung von Biomasse beruhenden Wachstum in der Biosphäre steht das verschwenderische und seine eigenen Grundlagen vernichtende Wachstum gegenüber, das der Mensch seit Beginn der Industrialisierung betreibt. Durch die Verseuchung von Luft, Wasser und Böden mit giftigen Substanzen aller Art, durch intensive Landwirtschaft, Bodenversiegelung, Plastikmülleintrag u.s.w. zerstört der Mensch seit wenigen Jahrzehnten seine eigenen Lebensgrundlagen. Das UPI-Institut hat die zeitlichen Dimensionen dieser Katastrophe veranschaulicht: Wäre die Evolution eine Wanderung vom Mittelmeer an die Nordsee (1000 Kilometer), begönne die Industrialisierung erst 5 Zentimeter vor dem Wasser der Nordsee und das explosionsartige, nicht-nachhaltige Wirtschaftswachstum erst 2 Zentimeter davor (und nach Berechnungen des Autors dieses Artikels träte der Mensch selbst nur wenige Kilometer vor der Nordseeküste auf).

Wir drohen also, durch unsere Lebens- und Wirtschaftsweise in kürzester Zeit die Biosphäre zu zerstören, weil wir nicht Vielfalt, sondern einseitige Nutzung der Ressourcen, nicht Nachhaltigkeit, sondern kurzfristigen Profit, nicht Anpassung an die Knappheit der Ressourcen, sondern Wachstum um jeden Preis zu Prinzipien unseres Handelns machen. Das Credo des Wirtschaftsliberalismus „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ könnte auch als wesentlicher Motor der Evolution bezeichnet werden – als Grundsatz des modernen Menschen, der sich die Erde untertan macht, ist es aber verantwortungslos und verheerend. Werden wir es schaffen, unsere Lebensweise ebenso schnell auf „nachhaltig“ umzustellen, wie wir den entgegengesetzten Weg beschritten haben, und zwar gegen unsere eigenen egoistischen Instinkte? Oder werden wir Menschen uns durch unsere Lebensweise selbst vernichten, sodass unsere zerstörerische Existenz nur eine kurze Schreckensphase im Verlauf der Weltgeschichte bleibt, wie ein Oscar-nominierter Kurzfilm suggeriert?