VON DAVID SEITZ | 16.10.2012 17:49

Mehr als Honiglieferant: Bienensterben als Gefahr für den Menschen

Es sind Zahlen, die auf den ersten Blick zwar erschrecken, für den Menschen jedoch zunächst nicht unmittelbar bedrohlich wirken: Die Bienenpopulationen in Europa und den USA sind in den vergangenen Jahren um bis zu 30 % zurückgegangen. Im Nahen Osten waren es sogar 85%. Wie fatal diese Zahlen jedoch tatsächlich für das Leben des Menschen sein können zeigt sich erst, wenn man die Verdienste der Bienen für das Ökosystem der Natur betrachtet. Die meisten Menschen betrachten die kleinen Tierchen noch immer als wenig mehr als Honiglieferanten. Dabei sichern sie durch ihre Anwesenheit einen Großteil der Nahrung, die die Menschheit zu sich nimmt.

Jeder dritte Bissen unseres Essens ist von der Biene abhängig“, erläutert Regisseur Markus Imhoof, der sich für die Recherche zu seinem Film „More than honey“ fünf Jahre lang mit dem mysteriösen Phänomen des Bienensterbens auseinandergesetzt hat. Am Beispiel eines Hamburgers zeigt er, was ohne das Zutun der Biene vom geliebten Snack übrig bleiben würde. „Kein Salat, keine Zwiebeln, kein Ketchup, kein Senf wären mehr drauf.“ Die kleinen Tiere sind eben nicht nur für den Honig verantwortlich. Um die wahre Bedeutung der Biene für den Menschen zu verstehen, genügt ein Blick auf ihre Rolle im Ökosystem der Natur.

Die Biene als Samenspender

Artenschutz als Überlebenskampf für Mensch und Tier

Bienenforscher Dr. Werner von der Ohe

Damit eine Pflanze Früchte tragen kann, muss sie bestäubt werden. Der Pollen, mit den enthaltenen Spermazellen, muss dafür mit den empfänglichen weiblichen Blütenteilen in Kontakt kommen. Dieser Vorgang ist – wie beim Menschen – Voraussetzung für eine erfolgreiche Befruchtung. Während einige Pflanzen in der Lage sind, diese Bestäubung selbst durchzuführen, ist ein Großteil der Pflanzenwelt auf Fremdbestäubung angewiesen. Zwar tragen auch Wind und andere Insekten einen kleinen Teil zur Bestäubung von Blüten bei, den größten Teil übernehmen jedoch die Bienen. „Der Wert ist zwar abhängig vom einzelnen Landschaftsbild, im Schnitt ist die Biene aber für 75-80% aller Fremdbestäubungen verantwortlich,“ erklärt Dr. Werner von der Ohe, Leiter des Instituts für Bienenkunde in Celle. Im Klartext bedeutet das: Ohne Bienen würden nur etwa ein Viertel der Pflanzen befruchtet werden. Glücklicherweise wird dieser Fall wohl nicht eintreten.

Doch die aktuelle Zahlen sind ein Warnsignal für Imker, Obsthändler und Verbraucher. Die Zahl der Bienenpopulationen nimmt messbar ab, in den letzten Jahren mit dramatischer Geschwindigkeit. Die Schuldigen für das Bienensterben scheinen die Medien längst ausfindig gemacht zu haben: Pestizide, Fungizide und Monokulturen. Immer wieder tauchen diese Angaben auf, mit plausiblen Erklärungen. Fehlanwendungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln und einseitige Ernährung durch monokulturelle Anbaumethoden schwächen die Bienen, die dadurch anfällig werden für Krankheiten und schneller sterben. Doch Werner von der Ohe warnt vor allzu schnellen Schlüssen: „Monokulturen und Schutzmittel sind zwar gefährlich, jedoch nicht der Hauptgrund für das massive Bienensterben.“

Große Sorgen, keine Panik

Seiner Ansicht nach muss der Begriff Bienensterben weiter differenziert werden. „Den größten Verlust erfahren Imker durch die Wintersterblichkeit der Bienen,“ erklärt der Biologe. Damit meint er die Tatsache, dass der Imker nach der Überwinterung der Bienen weniger Völker im Stock vorfindet als vor dem Winter. Diese Verlustzahlen am Ende des Winters sorgen jedes Jahr aufs Neue für Schlagzeilen. Was seiner Ansicht nach dabei von vielen Journalisten vergessen wird ist die Tatsache, dass sich die Bienenbestände im Laufe des Jahres erholen können. „Die Schlussfolgerung, dass die Zahl der Bienen konstant gen null strebt stimmt also nicht,“ gibt von der Ohe zu bedenken.

Dennoch gibt auch er dem Menschen eine Mitschuld am plötzlichen Bienenschwund. Der größte Feind der Bienen, so von der Ohe, sei die aus Asien eingeschleppte Varroamilbe, die besonders im Winter Bienenvölker befällt und zu hohen Todesraten führt. Wie ein Blutegel saugt sie sich an den Bienen fest und lebt von deren Blut. Während sich asiatische Bienen auf den Wirt eingestellt haben, führt der Befall bei europäischen Bienen häufig zum Tod. Durch Pestizide und Nahrungsmangel sind viele der Bienen so stark geschwächt, dass sie dem Milbenbefall nicht trotzen können. „Die Frage ist außerdem immer, wie sehr die Imker darum bemüht sind, diese Milbe auch zu bekämpfen“ - so von der Ohe. Der Biologe warnt vor Panik, ohne jedoch Entwarnung zu geben. „Das Bienensterben ist dramatisch, aber noch keine Katastrophe,“ sagt er. Noch seien die Bestände stark genug um sich vom Schwund zu erholen. Noch.