VON LISI WASMER | 12.07.2014 18:19

Patentierte Welt – Das Geschäft mit dem Allgemeingut Leben

Schallplatten aus Schokolade, ein Helm mit integrierter Pistole, eine Spaghettigabel mit drehbarem Antrieb – an kuriosen Patenten herrschte noch nie ein Mangel. Weniger unterhaltsam als die eben gebrachten Beispiele sind die Patente, gegen die Greenpeace zusammen mit anderen Verbänden seit nunmehr 15 Jahren protestiert: Es geht um Patente auf Schweinegene, auf Hühnerfutter und Brokkoli-Saatgut. Kurz: Es geht um Patente auf Leben. Und um den Versuch großer Lebensmittelkonzerne, mit unseren Grundnahrungsmitteln ein Milliardengeschäft zu machen – auf Kosten regionaler Landwirte und nicht zuletzt auf Kosten der Verbraucher.

Im Grunde ist es eine Glaubensfrage: Kann ein Patent auf Leben vergeben werden? Kann man natürliche Fortpflanzung, Gene sowie Lebewesen und Pflanzen mit einer technischen Erfindung gleichsetzen und sich diese dementsprechend patentieren lassen? Verbraucher, Politiker und Umweltaktivisten wie Greenpeace verneinen diese Frage seit Jahren vehement.

Dennoch hält der Schweizer Agrochemiekonzern Syngenta laut einem Report von Greenpeace seit 2011 ein Patent auf Melonen „mit einem angenehmen Geschmack“. Ein weiteres Beispiel: Del Monte erhielt im selben Jahr ein Patent auf eine spezielle Ananas-Sorte, die als besonders gesund vermarktet werden soll. Und auch vor Tieren macht die Patentgier keinen Halt: Schweine, Milchkühe, auch Forschungstiere – Großkonzerne wie Monsanto oder Bayer sichern sich die Rechte an ihren Genen, wie eine Chronologie auf der Website der Umweltaktivisten dokumentiert.

Das Problem mit den Patenten

Aber was haben die Konzerne davon? Das lässt sich am Beispiel Monsanto gut erklären: Im Sommer 2013 erteilte das Europäische Patentamt mit Sitz in München dem US-amerikanischen Lebensmittelkonzern zum wiederholten Mal ein Patent auf Brokkoli. Die fragliche Pflanzenart hat einen verhältnismäßig langen Stil und kann deshalb gut gepflückt werden, an sich stammt der fragliche Brokkoli aus konventioneller Zucht. Schon 2011 gingen Umweltschützer, Landwirte, Politiker und Verbraucher auf die Straße, um sich gegen die Patentierung von Pflanzen zu wehren. Auch damals war Monsantos Brokkoli Auslöser für die Gegenbewegung, wie in der Sendung „Quer“ des „Bayerischen Rundfunks“ berichtet wurde.

Glowing Plants

Die im Beitrag gezeigten Demonstranten sehen das Leben als „etwas Besonderes und kein Patent“, die Bestrebungen Monsantos als „unglaubliche Dreistigkeit“. Für Monsanto bedeutet das Patent, dass Landwirte und Züchter, die das so patentierte Saatgut verwenden möchten, Lizenzgebühren zahlen müssen. Die Mehrkosten können sie nicht tragen, sie werden auf die Verbraucher umgelegt. Über kurz oder lang bedeutet das: Brokkoli wird teurer.

Ein Beitrag des ARD-Fernsehmagazins „Plus-Minus“ zeigt besonders deutlich, warum die Patentierung von Pflanzen so problematisch ist: Sie nimmt kleineren, konventionellen Züchtern quasi die Existenzgrundlage. Aufgrund der Vielzahl an Patenten ist es schier unmöglich, Saatgut auszubringen, ohne gewissermaßen „aus Versehen“ gegen das Gesetz zu verstoßen. Denn niemand weiß, welche Patente es letzten Endes gibt und welche Besitzansprüche mit ihnen einhergehen. Tierarzt Christoph Then konnte im Zuge seiner Recherche beim Europäischen Patentamt mehr als 700 Patente feststellen, unter anderem auf eine Sonnenblumenart, Mais und Tomaten.

Von der Regierung geduldet

In den USA zeigt die Markt-Dominanz von Monsanto bereits erste Wirkung: Saatgut für Mais und Soja wird bereits teurer, der Konzern allein bestimmt, welche Preise ausgeschrieben werden. Wird ein geplanter Antrag auf die Patentierung von Hühnerfutter angenommen, könnte gleiches auch bald auch für Eier und sogar das Fleisch gelten. Ein hypothetisches Beispiel: Wer das Patent auf Getreide hat, bestimmt auch die Bier- und Brotpreise.

„Leider geht man heutzutage mit Lebensmitteln nicht mehr so um wie man es eigentlich sollte“, sagt die ehemalige bayerische Justizministerin Beate Merk (CDU) in einem Statement zur ethischen Vertretbarkeit von Lebensmittelpatenten vom Sommer 2013. Damit spricht sie vielen Menschen aus dem Herzen. Den Anträgen der großen Konzerne gibt das europäische Patentamt trotzdem immer wieder statt, die Regierung duldet seit Jahren die so kleinstufig fortschreitende Privatisierung und Monopolisierung der Lebensmittelmärkte.

Dabei stand das Verbot solcher Patentvergaben sogar noch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag: „Unabhängig vom Schutz des geistigen Eigentums wollen wir auf landwirtschaftliche Nutztiere und –pflanzen kein Patentrecht“ (S.47). Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist das Verbot zwar nicht vollends aufgehoben, aber deutlich aufgeweicht. Das Patentierungsverbot bezieht sich seit 2014 nicht mehr auf landwirtschaftliche Nutztiere und –pflanzen im Allgemeinen, sondern nur noch auf „konventionelle Züchtungsverfahren, daraus gewonnene Tiere und Pflanzen sowie auf deren Produkte und auf das zu ihrer Erzeugung bestimmte Material“ (S. 86). Was nun als „konventionell“ einzustufen ist, bleibt dem Patentamt überlassen. Die eingangs angesprochene Syngenta-Melone verdankt ihren „angenehmen Geschmack“ jedenfalls einem bestimmten Anteil an Zitronensäure und Zucker – erreichbar mittels herkömmlicher Zuchtmethoden, die sowohl 2009 als auch 2014 laut Koalitionsvertrag nicht patentierbar sein dürften.

Patente, die keiner will

Es ist paradox: Umweltaktivisten, Landwirte, Züchter, Verbraucher, Politiker wie Merk und Söder (CSU) – sie alle stehen gewissermaßen alleine da, im Stich gelassen von der Regierung, übervorteilt von international agierenden Konzernriesen. Niemand will Patente auf Brokkoli und Schweine. Niemand, außer Monsanto, Syngenta und Konsorten. Ein Problem, das auch vor dem Hintergrund der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen Deutschland und den USA nicht zu vernachlässigen ist. Denn wie sagt Ex-Justizministerin Merk in ihrem Statement weiter? Lebensmittelproduktion bedeute einen sorgsamen Umgang mit tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen. Mit Lebens-Mitteln, die ein Allgemeingut darstellen.