VON CLEMENS POKORNY | 18.04.2013 17:11

Fernsehen: der Deutschen liebstes Hobby

Die Deutschen schauen immer länger fern, mittlerweile im Durchschnitt fast drei Stunden täglich. Das Massenphänomen Fernsehkonsum hat viele negative Folgen und ist ebenso ein Spiegel der Gesellschaft wie es auf diese einwirkt.

Es müsse deutlich gesagt werden, dass „ein perfekter Werbeblock im Fernsehen seine Wirkung verfehlt, wenn er alle paar Minuten von einem unverständlichen Spielfilmteil unterbrochen wird.“ Das stellte Loriot alias Bernhard-Victor von Bülow am 31. Mai 2006 anlässlich der Eröffnung des Museums für Film und Fernsehen zu Berlin ironisch fest. Wie kein anderer hat der Humorist jahrzehntelang die Deutschen über die Mattscheibe zum Lachen gebracht – und übrigens auch selbst Werbung und Werbeparodien produziert. Eine Art von Konsum musste das Fernsehen allerdings kaum durch Werbung fördern, er stieg vermutlich eher aus anderen Gründen fast ununterbrochen bis heute an: den Fernsehkonsum.

Die Macht der Werbung

Wir gucken immer öfter in die Röhre: 2010 verbrachte der Durchschnittsdeutsche sage und schreibe 223 Minuten täglich oder fast zweieinhalb Monate nonstop jährlich vor der Glotze – neuer Rekord. Mit zunehmendem Alter steigt dabei auch die durchschnittliche Sehdauer pro Tag: Von circa 90 Minuten in der Altersgruppe der 3- bis 13-Jährigen über etwa zweieinviertel Stunden bei den 14- bis 29-Jährigen bis hin zu den über 65-Jährigen, die im Oktober 2012 laut der Firma Media Control über fünf Stunden pro Tag fernsahen.

Neben Rentnern und Arbeitslosen gehören die Bewohner der neuen Bundesländer – wegen der dort überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit? – zu den „fleißigsten“ Fernsehkonsumenten, während Bayern und Hessen mit 199 Minuten weit unterdurchschnittlich lange vor der Mattscheibe saßen. Das Internet liegt mit rund zweieinhalb Stunden täglicher Nutzungsdauer noch knapp hinter dem Medium Fernsehen.

Während Fernsehkonsum in Entwicklungsländern durchaus, ähnlich wie das Internet, wegen einiger dort vorgelebter Ideale (z.B. Kinderlosigkeit) zu einer Erhöhung des Bildungsniveaus insbesondere von Frauen führen kann, weisen verschiedene Studien vor allem auf negative Auswirkungen hin: Wie Computerspiele steht das Fernsehen im Verdacht, die Hemmschwelle hin zur Gewalttätigkeit zu senken, wenn entsprechende Inhalte konsumiert werden, es hemmt den Spracherwerb, steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Höhe des erreichten Bildungsabschlusses und bedeutet Bewegungsmangel mit den bekannten Folgen. Dem Fernsehkonsum tun solche Forschungsergebnisse offenbar keinen Abbruch. Das Fernsehprogramm gliedert oftmals bis zu einem gewissen Grad den Tagesablauf, die Nachrichten von ARD und ZDF versammeln in vielen Haushalten allabendlich die Familie vor dem Bildschirm. Eine Comicfigur Loriots will bekanntlich sogar dann, als das Fernsehgerät kaputt ist, „nach den Spätnachrichten der Tagesschau“ ins Bett gehen, lässt sich aber bestimmt nicht von ihm vorschreiben, wann sie ins Bett zu gehen habe. Fernsehkonsum stiftet Orientierung in einer immer unüberschaubareren Welt. Doch während vor Einführung des privaten Rundfunks (1981) beinahe jeder Zuschauer bestimmte Höhepunkte wie „Tatort“ oder wichtige Spiele der Fußball-Nationalmannschaft sah und sich tags darauf mit den Arbeitskollegen darüber unterhalten konnte, hat die Einführung von Spartenkanälen und die – wenn auch begrenzte – Ausdifferenzierung der Programme zu einer Fragmentierung des Publikums geführt, die die Geschmacks- und Stilbildungsfunktion des Leitmediums Fernsehen wieder reduziert hat. Dabei werden die Themen der Sendungen nicht unbedingt intelligenter oder spezieller: Wer mit seiner Freizeit nichts anzufangen weiß, kann mittlerweile im Reality-TV verfolgen, wie andere ganz normale Menschen leben.

Angesichts des ungebrochen hohen Fernsehkonsums erscheint die Regelung, dass seit Anfang 2013 alle Haushalte den Rundfunkbeitrag (ehemals „GEZ-Gebühr“) zahlen müssen, egal ob sie Empfangsgeräte besitzen oder nicht, nicht völlig unplausibel. Einige Kritiker des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages haben Klage dagegen eingereicht. Wie Loriot den Rundfunkbeitrag bewertet hätte, darüber können wir nur spekulieren. Wahrscheinlich aber hätte er allen, die tatsächlich keine Rundfunkempfangsgeräte besitzen, geraten, die Rundfunkgebühr von pauschal 17,98 Euro, sollte sie tatsächlich höchstrichterlich gekippt werden, jedenfalls nicht auf die hohe Kante zu legen: „Warum sollten wir ferner darauf sehen, zu sparen, wenn wir vom Gesparten nur von ferne etwas sehen? So gesehen, bleibe man dem Sparen fern, im Fernsehen bleibt einem sowieso nichts erspart!“