VON MAXIMILIAN REICHLIN | 14.09.2015 13:50

Farben und ihre Namen – Von roten Tornados und schwarzen Smokings

Mein Mitbewohner hat sich ein neues Auto gekauft. Es ist rot. Zumindest würde ich das sagen. Meine Freundin sieht das anders. Für sie ist der Wagen Karminrot, wie ihr Lippenstift. Mein Mitbewohner wiederum nennt die Farbe Tornadorot, unter diesem Namen war ihm der Ton im Geschäft nämlich angepriesen worden. Wenn ich mir die darauffolgende Diskussion so anhöre, werde ich das Gefühl nicht los, dass die Frage, welche Farbe das Auto denn nun hat, von 50 gefragten Personen 50 Mal unterschiedlich beantwortet werden könnte. Vielleicht sogar noch öfter. Möglicherweise heißt nämlich Tornadorot bei einem anderen Autohersteller ganz anders, Amaranth vielleicht oder Strawberry. Und vielleicht denkt eine Freundin meiner Freundin beim Anblick dieser Farbe nicht an ihren Lippenstift, sondern an eine Tomate.

Kurzum, rot ist nicht gleich rot, ebenso wenig ist grün gleich grün oder blau gleich blau. Da es von jeder dieser Farben eine unglaubliche Zahl an Abstufungen und verschiedenen Tönen gibt, ist es nur sinnvoll, dass jeder spezielle Ton auch einen Namen hat. Immerhin, Zinnoberrot sieht anders aus als Ziegelrot, und wiederum anders als das heiße Feuerrot. Mittlerweile jedoch kennt man sich in dem Wust aus Farbnamen kaum noch aus. Über 500 verschiedene Bezeichnungen für die Farbe Blau lassen sich zum Beispiel im Deutschen festmachen, Tendenz steigend. Von den meisten habe ich noch nie etwas gehört, von den wenigsten kann ich mir ein Bild machen. Beispiele? Elektrablau, Bogenblau, Blauvogelblau oder Ätherblau.

Mit Sicherheit war es irgendwann zweckmäßig, verschiedene Farbtöne auch unterschiedlich zu nennen, alleine um Gespräche zu vermeiden wie: „Ich finde, wir sollten die Wand nicht in diesem Gelb streichen, sondern lieber in einem ganz anderen Gelb, ein bisschen dunkler und satter, wenn du mir folgen kannst, und vielleicht eher mit einem Stich ins Grüne!“ Schon deswegen ist es nie verkehrt, wenn man den richtigen Farbnamen parat hat, um seinem Gegenüber begreiflich zu machen, wie gelb die Wand nun werden soll. Wenn der Gegenüber aber von diesem Farbnamen noch nie etwas gehört hat, dann ist das ganze System wieder für die Katz, denn entweder behilft man sich dann mit Gesprächen wie oben, oder man zeigt ihm einfach die Farbe, die man haben will.

Optische Manipulation - Liebe auf den zweiten Blick?

Trotzdem gibt es immer neue Namen für die guten alten Farben. Autohersteller sind da besonders kreativ. Tornadorot ist nur die Spitze des Eisberges. Da gibt es noch Cappuccino-Beige, Silver Leaf, Smoking Black, Candy-White und und und. Sinn und Zweck der bunten Neologismen: Sie sollen beim Käufer Assoziationen wecken, den Kopf auf eine Reise schicken. Ein Lebensgefühl soll durch Farbe vermittelt werden, aber eben nicht nur durch die Farbe, sondern auch durch ihren Namen. Nehmen wir den Wagen meines Mitbewohners: Zwar ist ein Tornado nicht rot, aber er ist schnell. Er ist wild und unbezähmbar, eine Naturgewalt, die alles mitnimmt, was sich ihr in den Weg stellt. Wer will nicht in einem solchen Wagen fahren? Ein anderes Beispiel: Smoking Black, also schwarz wie ein feiner Anzug, den man zum Beispiel zu einer Filmpremiere tragen würde, oder zu einer Gala. Im Blitzgewitter der Presse steigt man aus, selbstsicher und cool, mit einer Aura von Geld, Macht und Erfolg. Und in welchem Wagen ist man vorgefahren? Selbstverständlich, es muss Smoking Black sein.

Klar, dass so etwas positiv die Fantasie anregt. Farben wirken auf unsere Gefühlswelt ohnehin wie sonst nichts anderes, weil wir gewisse Dinge mit ihrem Anblick verbinden. Rot selbstverständlich mit Liebe und Leidenschaft und Hitze, Grün mit der Natur, Blau mit dem Meer, mit Ruhe und mit Kälte, und so weiter. Vor allem die Werbung macht sich diesen Effekt gerne zu Nutze. Die US-amerikanische Marketingagentur WebpageFX will herausgefunden haben, dass Farben eine so große Wirkung auf uns haben, dass sie für über 80 Prozent aller Menschen einer der Hauptgründe sind, ein Produkt zu kaufen. Somit haben Farben auch einen immensen psychologischen Effekt. Rot etwa wirkt appetitanregend, Gelb soll kommunikativ machen und Blau beruhigend wirken.

Das alles ist hochinteressant, hilft mir aber im aktuellen Fall nicht weiter, denn die einzige Wirkung, die das rote Auto meines Mitbewohners (pardon, das tornadorote) im Moment auf uns hat, ist die, dass wir uns streiten. Beziehungsweise streiten sich mein Mitbewohner und meine Freundin, seit einer geschlagenen Stunde, und zwar über die Farbe des Autos. In diesem Sinne könnte der Wagen auch zornrot sein. Oder vielleicht aggressivrot? Möglicherweise auch ein künstlich-aufgeregtes Rot. So oder so, der Punkt ist erreicht, in dem es mich kaum mehr interessiert, welche Farbe das Auto hat, und wenn es kotzgrün wäre. Ich will jetzt damit fahren.