VON CLEMENS POKORNY | 17.07.2012 14:57

Eurobonds: Chancen und Risiken

Seit drei Jahren hat die Staatsverschuldung mehrerer EU-Länder bedrohliche Ausmaße erreicht. Sind Eurobonds, also die Übernahme ihrer Schulden durch weniger verschuldete Länder in Form von Staatsanleihen, ein Ausweg aus dieser Krise?

Ob unsolide Haushaltspolitik wie im Falle Griechenlands oder - wie kritische Ökonomen argumentieren - die Finanzkrise ab dem Jahr 2007 und damit das Fehlverhalten der Kreditwirtschaft: Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass sich vor allem die sogenannten PIIGS-Länder der Eurozone, also Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, in den letzten Jahren massiv verschuldet haben. Ihre Haushaltsdefizite übersteigen bei weitem die in EU-Verträgen festgelegte 60%-Grenze gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), und aufgrund ihrer dadurch gesunkenen Bonität können sich die betroffenen Staaten kaum mehr Geld für die Tilgung ihrer Schulden leihen. Ein Instrument, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wird unter Politikern, Wirtschafts- und Fiskalexperten seit Jahren kontrovers diskutiert: Eurobonds, auch EU-Anleihen genannt.

Ohne eine bessere Moral in der Wirtschaftsszene geht aber gar nichts!

Die Idee: Finanziell solider aufgestellte Länder wie Deutschland (das allerdings die Staatsschuldenquote von 60% selbst ebenfalls deutlich überschritten hat) erwerben Anteile an den "Schuldenstaaten". Dadurch erhalten diese frisches Geld und die Kreditgeber profitieren von den im Zuge der Rückzahlung anfallenden Zinsen - falls diese neuerlichen Schulden überhaupt zurückgezahlt werden. Andernfalls müssen alle Staaten, die solche Anleihen erworben haben, gemeinschaftlich für die Schulden des Kreditnehmers eintreten - ggf. auch über die Höhe ihrer Anleihen hinaus. Um zu verhindern, dass das Modell zum Selbstbedienungsprinzip für Staaten mit unverantwortlicher Haushalts- und Wirtschaftspolitik wird, hat der liberale Europapolitiker Guy Verhofstadt vorgeschlagen, dass nur Staaten ein Anrecht auf die Ausgabe solcher Staatsanleihen haben sollen, die sich an den im Vertrag über die Arbeitsweise der EU festgelegten Stabilitäts- und Wachstumspakt halten. Staaten mit einer Verschuldung von über 60% des BIP könnten damit von Eurobonds nicht profitieren.

Auch mit solchen oder ähnlich strengen Auflagen stößt das Modell auf heftigen Widerstand einzelner EU-Länder. Während dieser aber allmählich abnimmt und einige finanziell solide Staaten wie Luxemburg oder Frankreich Eurobonds schon lange befürworten, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erst im Juni dieses Jahres ihre Ablehnung bekräftigt. Sie steht damit auf der Seite einer Mehrheit der deutschen Wirtschaftswissenschaftler, die - anders als die Gesamtheit der Ökonomen und Banker in der EU - EU-Anleihen ablehnend gegenüberstehen. Das größte Bedenken liegt in einem als "moral hazard" benannten Phänomen: Mit Eurobonds würde der Druck von den Schuldenstaaten genommen, eine solide Haushaltspolitik zu betreiben, um wieder günstigere Kredite auf dem freien Markt zu erhalten. So würden diese Länder dazu verleitet, weiterhin exzessiv Schulden zu machen, statt gezwungen zu sein, den gesellschaftlichen Reichtum umzuverteilen oder zu sparen. Solchen Auswirkungen könnte freilich durch Auflagen wie der von Verhofstadt ins Spiel gebrachten vorgebeugt werden. Umstritten ist ferner, ob Eurobonds zu einer massiven Belastung für die Haushalte der haftenden, reichen Staaten führen würden. Befürworter sehen sogar Vorteile für die wirtschaftlich solidesten EU-Staaten, Gegner gehen von milliardenschweren Zusatzbelastungen aus. Juristisch uneindeutig ist schließlich die sogenannte Nicht-Beistandsklausel des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, welche die Haftung der EU oder einzelner ihrer Mitgliedsstaaten für Verbindlichkeiten einzelner (anderer) Mitgliedsländer ausschließt. Dieser Vertrag sieht zudem bei "außergewöhnlichen Ereignissen" ausdrücklich Ausnahmen von diesem Prinzip vor.

Vorerst wird es u.a. aufgrund von Merkels Weigerung keine EU-Anleihen geben. Aufgrund der Komplexität des Themas wird es aber wohl weiterhin in der Diskussion bleiben. Und da derzeit kaum nachhaltige Alternativen für die kurzfristige Lösung der Probleme von "Schuldenstaaten" existieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Eurobonds mittelfristig kommen werden.