VON LISI WASMER | 11.11.2013 14:14

Rundfunk-Staatsvertrag: Von Gängelung bis zur Zensur

Oft ist es gerade das Stilmittel der Widersprüche, das Romane nicht nur gut lesbar, sondern auch unmittelbar einsichtig und somit (wie etwa im Falle von George Orwells „1984) zu einem Bestseller machen. Stärkstes Beweismittel ist Orwells Beschreibung der Regierungsstruktur in Ozeanien, dem Handlungsort des Romans, für die der Autor eindrucksvoll mit Gegensätzen spielt: Das Friedensministerium kümmert sich um die Kriegsführung, das Ministerium für Überfluss bearbeitet Rationierungen. Im Ministerium für Liebe werden Menschen gefoltert und im Wahrheitsministerium die Realität so lange verbogen und verzerrt, bis sie ein für die Führungsriege positives Bild der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeichnet – sei es im Alltag oder in den Geschichtsbüchern. Lesern läuft es bei solcher staatlicher Einflussnahme kalt den Rücken herunter. Vor allem an Medien richtet sich ein unangefochtener Wahrheits- und Unabhängigkeitsanspruch. Inwiefern gerade letzterer in Deutschland tatsächlich gegeben ist, darüber diskutieren gerade die Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe.

Orwell beschreibt in seinem Roman „1984“ nicht nur eine schaurige Zukunftsvision, er zeichnet überdies ein linienscharfes Bild der politischen und sozialen Entwicklungen über seine Zeit hinaus. Bestes Beispiel: Seine Schilderungen zur Instrumentalisierung der Medien zu Gunsten der Regierungs-Propaganda. Im Dritten Reich waren sie Realität, in absolutistischen Ländern wie Nordkorea sind sie es noch heute. Damit es zumindest in Deutschland nie mehr so weit kommt, regelt der im Jahr 1991 erstmals für alle 16 Bundesländer geltende Rundfunkstaatsvertrag nicht nur das Nebeneinander öffentlich-rechtlicher und privater Sender oder die Höhe der abzugebenden Rundfunkgebühren. Er soll auch das Verhältnis von Staat und Rundfunk regeln. Was das bedeutet und ob es funktioniert, darüber diskutieren seit wenigen Tagen die Verfassungsrichter in Karlsruhe.

Medienmacht und Mehrheiten

Diskussion des Staatsvertrags

Im Detail geht es um den ZDF-Staatsvertrag. „In den Sendungen des ZDF soll den Fernsehteilnehmern in Deutschland ein objektiver Überblick über das Weltgeschehen, insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit vermittelt werden“, heißt es in §5, Abs. 1. Im vierten Abschnitt werden die Führungsorgane der Rundfunkanstalt und ihre Zusammensetzung beschrieben. Eben hier scheint es bei näherer Betrachtung aber eben zu hapern. So haben die Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg gegen die Mitgliederverteilung in diesen Gremien geklagt. Sie sehen zu viel staatliche Beteiligung in den verantwortlichen Positionen und somit eine verfassungswidrig starke Einflussnahme der Politik auf die Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie auf der Internetseite von Deutschlandradio zu lesen ist.

Anstoß zur Klage war die Ablehnung der Verlängerung des Vertrags mit dem bis dahin aktivem ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender – eine Entscheidung, die nicht zuletzt von den Staatsvertretern im Fernsehrat verabschiedet wurde. Allgemein geht es um die starke Präsenz von Staats- und Parteivertretern in den Führungsgremien. Die Tagesschau beziffert diese auf rund 45,5 Prozent. Hinzu kommen die Vertreter von Interessensverbänden wie Gewerkschaften sowie Repräsentanten der Berufsgruppen. Da diese von den Landesregierungen der 16 Bundesländer ernannt werden, können auch sie laut Tagesschau zu den Politik-Vertretern gezählt werden. Damit bleiben allein die Ratsmitglieder als nicht-politisch bestehen, die für verschiedene Glaubensgemeinschaften einstehen – gerade einmal 6,5 Prozent.

Der Einfluss der Politik in der Führungsriege des ZDF und somit maßgeblich auch auf dessen Programm scheint somit unverhältnismäßig stark – eine Meinung, die auch die Verfassungsrichter in Karlsruhe zu teilen scheinen, glaubt man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): „Zur Sicherung der Medienfreiheit dürfe der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht vom Staat geleitet werden […] Daraus leite sich das Gebot der Staatsferne ab“, wird Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts hier zitiert. Es sei verboten, Staatsvertretern bestimmenden Einfluss auf das Programm zu gewähren, heißt es hier weiter. Bis etwaige Reformen, beziehungsweise Verschärfungen des Rundfunkstaatsvertrags beschlossen werden, wird es voraussichtlich allerdings noch bis 2014 dauern.

Spitzfindigkeiten des Staatsvertrags

In der Zwischenzeit bleiben viele Fragen offen. Wie viel Staat verträgt der Rundfunk? Und in welchen Funktionen sollten Vertreter aus der Politik eingebunden werden? Braucht es eine vollständige Entkopplung der Öffentlich-Rechtlichen? Wäre diese überhaupt denkbar? Aber die Zusammensetzung der Führungsgremien ist nicht das einzige Streitthema, das aus dem Rundfunkstaatsvertrag erwächst. Ewiger Streitpunkt bleiben etwa auch die Gebühren, die gerade erst für alle Haushalte vereinheitlicht wurden.

Ein weiterer großer Themenkomplex ist der Konkurrenzkampf zwischen kostenpflichtigen Privatsendern und Verlagen und den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Streit um die Tagesschau-App. Das Landgericht Köln entschied im September 2012, dass die ARD die Verbreitung des Programms einzustellen habe. Begründung: Die Inhalte seien nicht ausreichend sendungsbezogen und somit zu presseähnlich. Acht Zeitungsverlage hatten geklagt. Der Hintergrund ist schnell erklärt: Die Verlage speisen ihr Geld nicht wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten über staatlich eingetriebene Gebühren. Sie verdienen ihr Geld durch Anzeigenkunden und Produktverkäufe. Die App lieferte zu Videos auch kurze Textbeiträge. Damit sahen sich die Verlage in ihrer Vormachtstellung als schriftliches Informationsmedium bedrängt.

Bodenlosigkeit des Staatsvertrags

Ein weiterer Fall, der vor allem bei den Mitarbeitern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für helles Aufsehen sorgte: Aufgrund der letzten Änderung des Rundfunk- und Medienstaatsvertrags sind die Redakteure der öffentlich-rechtlichen Sender gezwungen, Online-Inhalte nach mehr oder weniger kurzen Zeitspannen wieder von ihren Plattformen zu löschen. Die Reaktion: Eine Todesanzeige für die Publizierung, geschaltet von den verantwortlichen Redakteuren. Von einer ungeheuren Masse zu löschender Daten spricht Jörg Sadrozinski, Redaktionsleiter von tagesschau.de. Der allgemeine Konsens ist eindeutig: Der Staat verübe moderne Zensur auf Drängen der Verlage.

Insgesamt gibt es von allem viel: Gegensätzliche Meinungen, Beschuldigungen, Gerichtsverfahren. Was fehlt ist anscheinend ein Rundfunkstaatsgesetz, dass es ermöglicht, sowohl eine freie mediale Berichterstattung als auch ein gesundes Nebeneinander privater und öffentlich-rechtlicher Medien zu gewährleisten. Was kommt, weiß vorerst niemand. Nur eines ist sicher: Die Diskussion um den Staatsvertrag ist noch lange nicht vorbei.