VON CLEMENS POKORNY | 12.05.2016 13:08

DiEM 25 – Varoufakis-Show oder breites Projekt zur Demokratisierung der EU?

Yanis Varoufakis hatte sich aus der griechischen Regierung zurückgezogen, weil er die seinem Land aufoktroyierten Sparmaßnahmen nicht mittragen wollte. Nun hat der lange Zeit gar nicht politisch Tätige in Berlin ein paneuropäisches Projekt aus der Taufe gehoben: Mit dem DiEM 25 soll die EU innerhalb von zehn Jahren demokratisiert werden.


Sinkende Wahlbeteiligungen, Rechtspopulisten im Aufwind und eine Verfassung, über die in Irland zweimal abgestimmt wurde, bis die Bürgerinnen und Bürger endlich das gewünschte Ergebnis lieferten. Intransparenz, Technokratie und Lobbyismus, sinnfällig am Beispiel TTIP. Eine Wirtschafts- und Finanzkrise nach der anderen und fragwürdige Versuche, diese zu bewältigen: Die EU scheint immer mehr an Rückhalt bei den Menschen zu verlieren, denen sie dienen sollte. So auch in Griechenland, dem von der EU ein brutales Spardiktat aufgezwungen wurde. Finanzminister Yanis Varoufakis trat denn auch zurück, als sein Ministerpräsident Tsipras auf die Troika einschwenkte. Nun hat Varoufakis zusammen mit Mistreiterinnen und Mitstreitern aus ganz Europa in Berlin ein neues politisches Projekt initiiert: „Democracy in Europe Movement 25“, kurz DiEM 25. Was steckt dahinter?

Der Name fasst bereits ins Auge, woran das paneuropäische Netzwerk primär arbeiten will: An der Demokratie, die es in Europa massiv gefährdet sieht, vor allem durch Bürokratie und Technokratie, aber auch durch nicht demokratisch legitimierte Gremien wie Eurogruppe (Gremium zur Koordination der Steuer- und Wirtschaftspolitik in der EU) und Troika aus EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds. Man hört heraus, dass hier auf die nach Ansicht (ehemaliger) linker Syriza-Abgeordneter (z.B. Varoufakis) erpresserische Politik der Troika gegenüber Griechenland in der Staatsschuldenkrise abgehoben wird. Doch erst ab der zweiten Häfte des Gründungsmanifests von DiEM 25 werden konkrete Ereignisse benannt, an denen die Köpfe der Bewegung, zum Beispiel der ehemalige Wirtschaftsprofessor Varoufakis, der US-amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky, der deutsche Philosoph Boris Groys, der italienische Emeritus für Politik Antonio Negri, der britische Regisseur Ken Loach (Kes, Jimmy's Hall) oder auch WikiLeaks-Sprecher Julian Assange, ihre Kritik am aktuellen Zustand der EU festmachen. Neben der „Niederschlagung des Athener Frühlings“ – eine aufschlussreiche Anspielung auf das Schlagwort von der „Niederschlagung des Prager Frühlings“ – beklagt DiEM 25 das Prinzip „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“, das freilich nicht nur in der EU beobachtet wird, die Verweigerungshaltung der meisten EU-Länder in der Flüchtlingskrise, die Rückkehr zu nationalen Grenzkontrollen, die Entdemokratisierung von Arbeit und deren zunehmenden Warencharakter, gierige Konzerne und Regierungsparteien, die für den Wandel antreten und sich dann feige und bequem vermeintlichen Sachzwängen unterwerfen (Syriza!). Dass die EU sich von ihren ursprünglichen Ziele entfernt habe, betrachtet DiEM 25 als eine „Verschwörung kurzsichtiger Politiker“, die Nationalismus, einen Wettbewerb der EU-Länder um die härteste Austeritätspolitik, sowie wachsende Ungleichheit, Hoffnungslosigkeit und Misanthropie hervorbringe. Mittelfristig, so Varoufakis & Co., drohe Europa der Zerfall.

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„Verschwörung kurzsichtiger Politiker“ klingt verschwörungstheoretisch, und tatsächlich nimmt der Erklärungsansatz für die behauptete negative Entwicklung der EU im (nur neun Seiten langen) Gründungsmanifest von DiEM 25 wenig Raum ein: Von Anfang an sei die EU auch ein Kartell der Schwerindustrie (und später auch der Bauern) gewesen. In deren Sinne seien Entscheidungsprozesse in der EU entpolitisiert worden, weil sich „ein Bündnis aus kurzsichtigen Politikern, ökonomisch naiven Beamten und unfähigen Finanzexperten“ Industrie und Finanzkonglomeraten unterworfen habe, sodass der für die Gewinnmaximierung der Privaten unangenehme Demos (gr. „das Volk“) sich aus der Demokratie (gr.-dt. „Volksherrschaft“) zurückzog. Doch so kurz diese Analyse auch ausfällt, die Kritik am Zustand der EU überzeugt – zum Beispiel vor dem Hintergrund der aktuellen Verhandlungen zwischen EU und USA über das Freihandelsabkommen TTIP: Selbst nach dem Durchsickern der geheimen Papiere, die die schlimmsten Befürchtungen der TTIP-Gegnerinnen und Gegner sogar noch übertreffen, drängen unsere Volksvertreter wie Angela Merkel auf einen raschen Abschluss der Gespräche – statt hart und so lange wie nötig zu verhandeln.

Natürlich belässt DiEM 25 es nicht bei Kritik. Das Netzwerk um Varoufakis schlägt einen Vier-Punkte-Plan zur Re-Demokratisierung der EU vor. Sofort umzusetzen sei erstens ein deutliches Mehr an Transparenz, etwa durch Live-Übertragungen von Sitzungen des EU-Rats und der Eurogruppe, Veröffentlichung von Verhandlungsdokumenten und Registrierung der EU-Lobbyisten. Für die nächsten zwölf Monate will DiEM 25, zweitens, Vorschläge für die Europäisierung der fünf Problemfelder Staatsschulden, Banken, Investitionsschwäche, Migration und wachsende Armut vorlegen, die gleichwohl den nationalen Regierungen Macht zubilligen. Innerhalb von zwei Jahren soll, drittens, eine verfassungsgebende Versammlung einberufen werden, deren VertreterInnen über transnationale Listen gewählt werden und eine neue EU-Verfassung ausarbeiten sollen. Deren Beschlüsse sollen dann, viertens, bis 2025 umgesetzt werden – so erklärt sich auch der Name des Bündnisses „DiEM 25“.

Große Versprechen und gewaltige Aufgaben also stehen vor Varoufakis und Gleichgesinnten. Doch auch wer die Vorhaben von DiEM 25 begrüßt, kann kaum umhin, ihre Umsetzung vorläufig für unrealistisch zu halten. Nicht deshalb, weil sie mehr Zeit zur Umsetzung bräuchten, sondern vielmehr, weil das Netzwerk einer EU die Demokratie zurückgeben will, die – wie DiEM 25 selbst analysiert – in vielerlei Hinsicht kaum mehr demokratisch funktioniert. Und, weil eine Lobbygruppe der Völker Europas, die absichtlich auf Geldspenden verzichtet, schlicht Probleme damit haben dürfte, außerparlamentarisch genügend Druck auf die etablierte EU-Politik auszuüben. Erst, wenn sich eine hinreichend große Zahl an Bürgerinnen und Bürgern findet, die die Ideen von DiEM 25 unterstützen, könnte die Demokratisierung im Sinne Varoufakis', der jahrelang nicht in die Politik gehen wollte, bis er zum Finanzminister berufen wurde und die undemokratischen Strukturen der EU kennenlernte, und seinen Unterstützerinnen und Unterstützern gelingen.

Bild: "Varoufakis Office". © Peter P. - flickr.com. Von UNI.DE zugeschnitten und mit ©-Hinweis versehen.
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