VON MAXIMILIAN REICHLIN | 08.04.2016 15:59

Demokratie in Gefahr – Die Ergebnisse des Bertelsmann Transformation Index 2016

Im Februar 2016 hat die Bertelsmann-Stiftung den zweijährig erscheinenden Transformation Index (BTI) veröffentlicht. Die Studie untersucht die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage von Transformations- und Entwicklungsländern. In diesem Jahr fallen die Ergebnisse für die weltweite demokratische Qualität bedenklich aus: Demokratien werden undemokratischer, Autokratien und Diktaturen werden radikaler. Als Ursachen werde vor allem die Ereignisse während des arabischen Frühlings und anderer Rebellionen wie dem Euromaidan benannt. Aktuelle Geschehnisse, die sich höchstwahrscheinlich ebenfalls verheerend auf die Demokratie ausgewirkt hätten, konnten dabei überhaupt nicht mehr in den BTI aufgenommen werden. UNI.DE berichtet.

Ende Februar veröffentlichte die deutsche Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh wieder den Bertelsmann Transformation Index (BTI) für das Jahr 2016. Die Studie zur Lage von Politik und Gesellschaft in 129 Entwicklungsstaaten bringt erschreckende Erkenntnisse. So sieht der Index weltweit Demokratie und Freiheit in Gefahr, da autokratisch geführte Staaten immer radikaler gegen oppositionelle Parteien und Einzelpersonen vorgehen. Selbst in Demokratien ist ein Abwärtstrend zu beobachten, vor allem in den untersuchten Faktoren Rechtsstaatlichkeit und Politische Partizipation. Zudem steigt in den aufgeführten Staaten der Einfluss der Religion auf die Politik in ernstzunehmendem Maße an – in Demokratien und Autokratien gleichermaßen.

Die Zahl der Demokratien steigt leicht, die demokratische Qualität sinkt stark

Oberflächlich betrachtet fällt die Bilanz der politischen Transformation seit der letzten Erhebung im Jahr 2014 positiv aus: Vier vormalige Autokratien – Guinea, Madagaskar, Mali und Nepal – erfüllen mittlerweile die Mindeststandards des Index und werden nun als Demokratien eingestuft, nur zwei Ländern – Irak und Thailand – wurde der Status wieder entzogen. Damit stehen in den 129 untersuchten Ländern nun 74 Demokratien gegen 55 Autokratien. 2014 waren es noch 72 gegen 57. Somit kann in dieser Hinsicht eine leichte Verbesserung im BTI verzeichnet werden.

Schreiben kann gefährlich sein

Gleichzeitig beobachten die rund 200 Fachleute hinter dem BTI allerdings eine immense Verschlechterung der demokratischen Qualität. In rund 60% der Staaten hat sich der Entwicklungsstand sichtbar verschlechtert, das bedeutet: Die Qualität und die Fairness der politischen Wahlen sank stark ab, Presse- und Versammlungsfreiheit wurden eingeschränkt, Bürgerrechte in geringerem Maße geschützt. Das gilt sowohl für autokratische Staaten als auch für Demokratien. Mittlerweile stuft der BTI über 70 Prozent der Demokratien als „defekt“ oder „stark defekt“ ein, die Anzahl der sogenannten „harten Autokratien“ stieg von 33 auf 40 an. Letztere stehen im Gegensatz zu den „gemäßigten Autokratien“, in denen ein gewisses Maß an Opposition gebilligt wird und Menschenrechte zumindest im Ansatz geschützt werden.

Hauptursachen: Der arabische Frühling und Euromaidan

Die regionalen Schwerpunkte dieser Entwicklungen liegen im Nahen Osten und Nordafrika, als Hauptursache gelten die Auswirkungen des Arabischen Frühlings. So heißt es in der Zusammenfassung des BTI: „Jegliche Opposition, die die Stabilität der eigenen Herrschaft gefährden könnte, soll verhindert oder im Keim erstickt werden.“ Beliebte Maßnahmen sind beispielsweise die Inhaftierung von Journalisten, – wie im vergangenen Jahr in der Türkei – die Registrierung zivilgesellschaftlicher Organisationen als „ausländische Agenten“ oder die Kontrolle von Internet und sozialen Medien. Damit reagieren vor allem autokratische Staaten auf die vermehrt durchgeführten Demonstrationen und Protestbewegungen gegen soziale Missstände und die Willkür der Herrschaft.

Als weitere Ursache für den negativen Trend gilt vor allem der Aufstand der Ukrainer auf dem Majdan Nesaleschnosti, der sogenannte Euromaidan. So schreibt der SPIEGEL über die Ergebnisse des BTI: „Die Rebellion hat Autokraten wie Wladimir Putin aufgeschreckt. Der russische Präsident schränkte die Spielräume der Zivilgesellschaft mit Demonstrationsverboten ein, die Justiz ist ihm untertan.“ Kein ganz neuer Trend: Schon seit den umstrittenen Versammlungsgesetzen der russischen Regierung im Jahr 2014 gilt die Versammlungsfreiheit in Russland als bedroht.

Die Religion gewinnt an Einfluss auf die Politik

Eine bedenkliche Entwicklungen sieht die Autorenschaft des BTI vor allem in dem wachsenden Einfluss von religiösen Dogmen auf die Politik. Diese sei in islamischen Staaten im Nahen Osten am stärksten ausgeprägt und würde durch terroristische Vereinigungen wie Daesh noch weiter vorangetrieben. „Gesellschaftliche Auseinandersetzungen werden zunehmend entlang religiöser Konfliktlinien ausgetragen“ heißt es dazu von Seiten der Bertelsmann-Stiftung. Insgesamt nahm der Einfluss der Religion in den vergangenen zehn Jahren in 53 Ländern deutlich zu, nur in zwölf Ländern ab. Das ist „einer der stärksten Negativtrends unter allen BTI-Kriterien“.

Auch in eurasischen Staaten und in Afrika gewinnt die Religion immer mehr an Einfluss. So instrumentalisiert Putin in Russland vor allem die russisch-orthodoxe Kirche für seine politischen Zwecke. In Afrika steht der politische Apparat sogar unter dem Einfluss von zwei Weltreligionen: Dem Christentum und dem Islam. Der nigerianische Religionssoziologe Ukah Asonzeh hält fest: „Es gibt eine gefährliche Tendenz dass die Mächtigen ihren Führungsanspruch mit einem göttlichen Willen begründen“. Eine solche göttliche Legitimation stehe allerdings dem demokratischen Grundsatz von Wahlen entgegen, daher der Punktabzug im BTI.

Erhebliche Verbesserungen in Sachen Demokratie sind unwahrscheinlich

Insgesamt betrachtet die Bertelsmann-Stiftung die Ergebnisse des diesjährigen BTI als höchst bedenklich und sieht die Demokratie auf der ganzen Welt in Gefahr. In allen drei geprüften Bereichen, der politischen Transformation, der wirtschaftlichen Transformation sowie dem Transformationsmanagement, in denen das Team des BTI alle zwei Jähre die Länder bewertet, kam es im Index 2016 zu erheblichen Punktabzügen. Nur wenige Staaten konnten sich im Vergleich zur letzten Erhebung verbessern.

Dabei konnten jüngste Entwicklungen noch nicht einmal berücksichtigt werden. Dazu gehören beispielsweise der Regierungswechsel in Polen, der sich, Prognosen zufolge, ebenfalls negativ auf die Demokratie auswirken wird. Wie sich die 129 Länder insgesamt weiter entwickeln, bleibt abzuwarten und wird erst im nächsten BTI im Jahr 2018 ablesbar sein. Viel Hoffnung für eine signifikante Verbesserung sieht das Forschungsteam allerdings unter den aktuellen Bedingungen nicht.