RICHARD KEHL | 17.01.2011 12:00

Vorsicht Kamera! Hobbyfilmer liefern wertvolle Inhalte für TV-Sender

Noch nie war es so einfach, Dinge in seinem Umfeld zu dokumentieren wie im digitalen Zeitalter. Mit Digitalkameras, HD-ausgestatteten Handys und Videoplattformen wie Youtube wird jeder Hobbyfilmer schnell zum Produzenten und Regisseur seiner eigenen Filme und Dokumentationen. Ein ungeheures Potenzial für Provinzmedien und regionale TV-Sender, glaubt zumindest Holm Keller, Vizechef der Leuphana Universität Lüneburg.

Früher waren Studenten auf Partys eingeladen, bei denen sie in der Regel tun und lassen konnten, was sie wollten. Der Eintritt war frei, das Bier war kalt. Auf dem Weg nach oben begegnete man gutgelaunten Studenten, die Wurstsalat und Bier mitbrachten, auf dem Weg nach unten Leuten, die einen Fernseher oder andere Wertgegenstände davontrugen. Hatte man sich auf der Party daneben benommen, konnte man sagen: „Ich war das nicht, nein, das bin ich nicht gewesen, hier liegt eine Verwechslung vor.“ Im Zeitalter von Handykameras, Smartphones, Youtube und Facebook ist das nicht mehr so einfach. Man kann nie wissen, wer die Party abfotografiert oder filmt. Am nächsten Tag heißt es dann: „Hey, dein Video auf Youtube, wie du vom Balkon pinkelst, hat schon 1.500 views!“

Diese Eigendynamik machen sich immer mehr lokale Medien zu Nutze, vor allem das Fernsehen. Sie bauen auf Hobbyfilmer, Hobbyreporter und Hobbyjournalisten als kostenlose Inhaltslieferanten. Sozusagen Wikileaks für die Boulevardpresse. Die Idee an sich ist nicht neu, das Modell hat sich im Breitensport bereits erfolgreich etabliert: Sportler, die sich selbst oder andere auf Wettkämpfen und Turnieren gefilmt haben, können auf der regionalen Sport-Plattform rsk1.de ihre Werke präsentieren. Die Inhalte werden von den jeweiligen Redaktionen geprüft, ggf. überarbeitet und freigegeben. Dazu zählen auch regionale TV-Sender.

Laut Holm Keller, Vizechef der Leuphana Universität Lüneburg, liegt darin enormes Potenzial, denn regionales Fernsehen ist mittlerweile weit verbreitet, aber immer mehr Nutzer schauen Inhalte online. Er sieht darin eine billige Art, um an regional interessensorientierte Inhalte zu gelangen und damit teure Produktionskosten der TV-Sender auf ein Minimum zu reduzieren. Im Rahmen eines Projekts der Leuphana Universität soll nun mit der Freisetzung neuer Finanzmittel in Millionenhöhe auch Inhalte von Privatpersonen genutzt und vermarktet werden.

An der Frage nach dem Erfolg des Lüneburger Projekts scheiden sich die Geister. Kritiker zweifeln an der Vision und prophezeien eher ein irrelevantes TV-Format mit „Volkshochschulcharakter“ statt professionell recherchierter und produzierter Inhalte. Der Internetriese Google und so mancher Lokalsender halten dagegen an der Idee fest, mit solchen Inhalten Geld zu erwirtschaften. Als prominente Unterstützung konnte die Leuphana Universität u.a. den Filmemacher Michael Ballhaus gewinnen. Er soll dafür sorgen, dass die Beiträge der Amateurfilmer einen gewissen Qualitätsstandard haben. Dabei geht es nicht nur um die Fähigkeit zu filmen, sondern auch Geschichten zu erzählen und Inhalte in Szene zu setzen. Ob die Hobbyfilmer ihr Material tatsächlich selbst produzieren, schneiden und ein sehenswertes Ergebnis abliefern, und dies alles ohne Ausbildung und ohne Honorar, bleibt abzuwarten.