210 Tage, 39 700 zurück gelegte Kilometer, 9 Mal eine Landesgrenze überquert, 13 000 Fotos, unzählige Erlebnisse und Begegnungen. Wo soll man da anfangen zu erzählen? Vielleicht beim Banja-Besuch in Russland oder dem Spaziergang auf der großen Mauer in China? Dem Erlebnis „Transib“ oder dem majestätischen Anblick des Mount Everest? Den kulinarischen Erfahrungen oder all den abenteuerlichen Grenzüberquerungen?
Zu erzählen gäbe es Vieles und Gründe eine Zeitspanne im Ausland zu verbringen Unzählige. Ein Erlebnis möchte ich jedoch besonders hervorheben; ein Erlebnis, das mich auch jetzt noch beglückt, das meine Reiselust nicht versiegen lässt und an dem ich andere gerne teilhaben lasse.
Wir spüren Muskeln, von deren Existenz wir gar nicht wussten, dennoch das Gefühl, die endlose Weite, die atemberaubende Landschaft der Mongolei, hoch zu Pferd zu erleben ist beeindruckend. Und die Strapazen wert!
Beim allabendlichen Zeltaufbauen brauchen wir die Hilfe von unserem Pferdeführer und Enkhlen, unserer Köchin und Übersetzerin längst nicht mehr. Doch, dass die Übersetzungskünste Enkhlens von unschätzbarem Wert sind, sollen wir heute ein weiteres Mal merken.
Den vielen Platz um unser Zelt teilen wir mit „Nachbarn“, ein kurzer Ritt und wir gelangen zur Jurte einer befreundeten Familie unseres Guides. „Haltet die Hunde fest“, kündet er unseren Besuch in der landestypischen Begrüßung an und eine schöne Frau in unserem Alter, mit Kind öffnet. Scheu werden wir hinein gebeten, in ihr kleines Reich. Wir achten darauf ja nicht auf die Schwelle zu treten und auf der uns zugedachten Seite Platz zu nehmen. Unser Blick schweift durch die Behausung mit den zwei Öfen in der Mitte, den Teppichen am Boden, den feinsäuberlich aufgehängten Fleischstücken, dem Altar mit den wichtigsten Fotos und den religiösen Utensilien, den kitschigen Tierbildern an den Wänden. Kein Ding, das nicht an seinem Platz wäre, kein Ding das keinen Zweck erfüllen würde. Unser Guide streift nach dem obligatorischen gesalzenen Tee bereits wieder durch die Matten seines Landes. Wir hingegen genießen die Gastfreundschaft und freunden uns mit der Frau und ihren Kindern an. Mit ihrer scheuen, aber sehr herzlichen Art bewirkt sie, dass wir uns willkommen fühlen und die Verständigung klappt auch ohne viele Worte. Die Sympathien scheinen gegenseitig zu sein, so lädt sie uns ein, zum Abendessen zu bleiben, ein Angebot das wir nicht ausschlagen können und wollen. Enkhlen holt unsere Vorräte und wir werden derweilen zum Mithelfen aufgefordert. Es gilt, die flinken, jungen Yaks einzufangen und sie für die Nacht anzubinden. Puuh, wir geraten außer Puste, die Kleinen sind flink und lassen sich nur widerwillig von ihren Müttern trennen. Wir versuchen unser Bestes, werden von unserer Gastgeberin aber dennoch ein wenig belächelt.
Zurück in der Jurte staunen wir weiter. Unsere neugewonnene Freundin schnürt ihren Sohn in Tücher (damit sie arbeiten kann und der Kleine sich nicht zur Feuerstelle bewegt), bäckt den Teig auf dem heißen Ofen zu hauchdünnen Fladen und lässt sich dabei auch durch ihre neugierige Tochter nicht aus der Ruhe bringen. Wir wollen ihr helfen, doch sie bedeutet uns, ihre Gäste zu sein und schenkt immer und immer wieder Tee nach. Die Abendsonne senkt sich über das schönste Fleckchen Erde der Welt und überzieht es golden. Die Yaks trotten gemächlich vor sich hin, Vögel erfüllen die Stille mit Pfiffen und die würzige Luft lässt uns tief einatmen. Kein Mensch, kein Geräusch, das diesen Frieden stören würde. Ich versuche diese Stimmung auf ein Bild zu bannen, die Kleine hilft mir dabei. Gerne würde ich auch einen Schnappschuss von uns zwei schießen, doch sie will immer nachschauen, bevor ich ausgelöst habe.
Derweilen zieht der Rauch in den Abendhimmel und köstliche Düfte veranlassen uns wieder hineinzugehen. Bereits wird die dampfende Suppe mit Fleisch, Gemüse und selbstgemachten, gerösteten Nudeln ausgeteilt. Auch der Hausherr kommt pünktlich zurück, ebenso unser Guide. Ob sie’s gerochen haben?!
Die würzige Mahlzeit schmeckt, wir passen uns den Gepflogenheiten an und verschlingen die Brühe, ebenso schlürfend wie die Einheimischen. Im Gespräch erfahren wir viel über das harte, entbehrungsreiche Leben. Wir hören gebannt zu und einmal mehr fühlen wir uns privilegiert reisen zu können und Einblicke in andere Lebensformen nehmen zu dürfen. Dass dieses Leben in der Tat anders ist, als jenes das wir kennen, sehen wir, als der Vater das schreiende Baby kurzerhand in seinen Mantel steckt und mit ihm auf seinem Pferd davon trabt. Wir genießen die gemütlichen Stunden und kurz später kehrt er mit seinem selig schlummernden Kind zurück.
Doch trotz aller Schönheit. Zögernd und nur nach mehrmaligem Nachfragen geht die Familie auf unser Angebot ein und nimmt die angebotenen Medikamente an. Ärztliche Versorgung ist nur spärlich und mehrere Tagesritte entfernt vorhanden. Wir schämen uns beinahe etwas, als wir unsere gut gefüllte Reiseapotheke öffnen und sie ihren Augen nicht trauen zu scheinen. Auch den Wunsch nach Antibiotika schlagen wir der Familie nicht aus, sind jedoch überrascht, als sie uns eröffnen damit die Augenkrankheit ihrer Yaks behandeln zu wollen. Ohne ersichtlichen Grund erblinden die Tiere langsam, das Medikament hilft, wie ein bereits erfolgreicher Versuch zeigt.
Die Familie bedankt sich gerührt und als wir dann noch unsere Schweizer Schoggi auspacken, ist die Freude perfekt. Auch unser Herz lacht, als wir sehen, dass die Schoggipapierli mit Schweizermotiven feinsäuberlich glatt gestrichen und am Altar befestigt werden.
Die Weite, die Einsamkeit, die unberührte Natur, das bescheidene Leben und die Wärme der Menschen, aber auch ihr offen gelebter Glaube und ihre Gastfreundschaft berühren uns sehr und bereits wissen wir: dies war nicht unser letzter Besuch in diesem faszinierenden Land.
Die 7-monatige Reise zählt zu meinen bisher besten Lebenserfahrungen. Jeder Tag war spannend und lehrreich, nie wusste man was einem heute erwarten wird. Nicht immer war es einfach und mit herkömmlichen Ferien ist eine solche Reise nicht gleichzusetzen. Der Begriff „Zeit“ erhielt eine völlig neue Bedeutung. Zeit zu haben, sich Zeit nehmen zu können, innezuhalten, sich Zeit zu geben. All dies war möglich und wunderbar. Ich lernte mich als Mensch besser kennen, sah aber auch neue Aspekte in der Beziehung zu meinem Freund. Das Erlebte machte uns zu Gefährten, schweißte zusammen und an den gemeinsamen Erlebnissen werden wir noch lange zehren.
Zu guter Letzt, ja, die Reise hat den Blick auf unser Leben und die Welt verändert. Wir wissen um die verschiedenen Lebensarten und dass es verschiedene Wahrheiten gibt. Wir sind sehr dankbar, in ein Land hineingeboren zu sein, in dem man es sich leisten kann, zu reisen. Auch das ein Privileg, um das wir oft beneidet wurden!
Nach all den positiven Punkten, ein negativer, der zugleich eine Warnung sein soll: Reisen macht süchtig! Wer einmal vom Reisevirus infiziert ist, wird davon nicht mehr loskommen und ständig von Fernweh geplagt sein. Aber eigentlich ein schönes Gefühl!
Viele Fotos und informative Reisebericht aus den von uns bereisten Ländern Russland, Mongolei, China, Tibet, Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand und Malaysia auf www.irgendwo-aberneddihei.ch