VON JASCHA SCHULZ | 31.01.2016 08:43

Wie vermeide ich Gewalt in einer Konfliktsituation?

Wer in einen Konflikt gerät, will Gewalt zumeist vermeiden. Allerdings entscheidet sich schon in den Anfängen des Konflikts, in welche Richtung sich dieser entwickelt. Den Gegenüber nicht anzustacheln oder anderweitig zu provozieren ist die oberste Prämisse. Auch bei der Beobachtung einer Konfliktsituation stellen sich viele Fragen. Raushalten oder Eingreifen? Die Polizei rufen oder nach unmittelbarer Hilfe Ausschau halten? UNI.DE hat nach Antworten gesucht und Meinungen verschiedener Fachleute zusammengestellt.


Um in einer spannungsgeladenen Situation Gewalt zu vermeiden, gibt es mehrere Strategien. Die Wichtigste ist: Deeskalierend wirken. Auch wenn eine noch so gewitzt-polemische Entgegnung auf der Zunge liegt und es noch so in den Armen juckt: Zusammenreißen, Runterkommen und Durchatmen sind in jedem Fall die besseren Ratgeber. Das kann schwierig sein, da der Drang, in einem Konflikt als Sieger hervorzugehen tief in der menschlichen Psyche verwurzelt ist. Allerdings entwickeln sich durch Beleidigung und Gegenbeleidigung häufig aus relativ harmlosen Diskussionen körperliche Auseinandersetzungen. Deshalb gilt: Wer provoziert wird, sollte nicht zum Gegenschlag ausholen, sondern die Beleidigung unkommentiert stehen lassen, oder sachlich auf den Gegenüber eingehen. "Die oberste Prämisse ist es, zu dem freundlich zu sein, der provoziert", sagt Christian Zorn, Leiter des Antigewaltprojekts des Landeskriminalamts Berlin. „Der Täter wartet nur auf eine Reaktion, die seine Tat rechtfertigt.“ Um sein „Opfer“ laufen lassen zu können, müsse der Täter überzeugt davon sein, sein Gesicht gewahrt zu haben.

Aus diesem Grund sollte man auch auf Vorwürfe verzichten, stattdessen die Konfliktlage beschreiben und Lösungen vorschlagen. Wichtig ist dabei, auch dem Gegenüber zuzuhören, auch wenn dessen Argumentation noch größtenteils aus Angriffen gegen die eigene Person besteht. Es ist außerdem darauf zu achten, dass die verbale und die nonverbale Kommunikation miteinander übereinstimmen. Aggressive Gesten lassen eine beschwichtigende Argumentation unglaubwürdig erscheinen. Dasselbe gilt für paraverbale Merkmale wie Lautstärke und Schnelligkeit des Sprechens. Auch hierbei ist es wichtig, möglichst ruhig zu sprechen, allerdings klar verständlich, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen. Erwachsene sollte man des Weiteren immer mit der Sie-Form ansprechen, um eine gesunde Distanz zu schaffen, welche die Schwelle der Gewaltanwendung erhöht.

Entsteht der Eindruck, eine Diskussion führe zu nichts, sollte man sich freundlich von dem Gegenüber verabschieden und gehen. Das gilt insbesondere, wenn der Provokateur sehr aggressiv ist und ein tätlicher Angriff befürchtet wird. Wegzurennen sollte erst einmal nicht die Lösung sein, da dies Angst signalisiert, wovon die Gegner zehren und eventuell die Verfolgung aufnehmen. Generell gilt aber natürlich: Wer akute Angst um seine körperliche Unversehrtheit hat und denkt dem Gegenüber davonlaufen zu können, der sollte dies auch tun. Bei Alkoholisierten oder in einem Drogenrausch befindlichen Personen sollte generell kein Gespräch gesucht werden, sondern diesen sofort aus dem Weg gegangen werden. Wer tatsächlich angegriffen wird, bemüht sich am besten um Hilfe. Dabei empfiehlt Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin der Opferhilfeorganisation Weißer Ring, Passanten direkt anzusprechen, zum Beispiel mit "Sie da, in der roten Jacke, rufen Sie die Polizei!". Eine Möglichkeit ist auch, nach jungen, kräftigen Menschen Ausschau zu halten und diese zur direkten Hilfe aufzufordern.

Oliver Tölle, Polizeijustiziar bei der Berliner Polizei, rät vor allem dazu, Lärm zu machen. Dies verunsichere und verwirre die Täter zumindest, wenn schon keine Helfer durch den Krach auf den Angriff aufmerksam würden.

Zivilcourage zeigen...

Wer Zeuge einer Auseinandersetzung wird, sollte zunächst ruhig bleiben, auf jeden Fall aber die Initiative ergreifen. Es ist zumeist schwierig festzustellen, in welcher Gefahr das Opfer tatsächlich ist. Davon ausgehend muss nämlich über das weitere Vorgehen entschieden werden. Diese Entscheidung muss in der Regel schnell fallen. Allerdings sollte man sich nicht unter Druck setzen und zunächst versuchen so nüchtern wie möglich die Ausgangslage zu analysieren. Sofern man lediglich eine heftige verbale Auseinandersetzung beobachtet, kann man deeskalierend dazwischen gehen und die Kontrahenten zur sachlichen, offenen Aussprache auffordern.

Etwas anderes ist es, wenn man Zeuge einer tätlichen Attacke wird. Nach Biwer ist die beste Strategie hierbei: Helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Eine Möglichkeit ist, nach Verbündeten Ausschau zu halten und dann gemeinsam dazwischen zu gehen.

Auch Krach-Machen kann wiederum eine Strategie sein, Täter sowie Opfer abzulenken und die unmittelbare Aggression des Täters abzuschwächen. Um tatsächlich körperlich dazwischen zu gehen, muss man sich fähig und kompetent genug fühlen. Stets sollte hierbei die Hilfe für das Opfer und weniger der Angriff auf den Täter im Mittelpunkt stehen. "Wenn der Täter direkt angegangen wird, macht ihn das oft noch aggressiver", sagt Monika Schanderl, Psychologin von der Uni Regensburg, die seit Jahren zum Thema Zivilcourage forscht. Dem Opfer zu helfen, könne stattdessen den Gegner verwirren. "In der Zeit kann man mit dem Opfer fliehen".

Auch Andreas Mayer, Geschäftsführer der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes rät bei Unsicherheit von einem aktiven Eingreifen in einer Gewaltsituation eher ab. Er empfiehlt, den Notruf zu wählen und in einem sicheren Abstand zum Täter den Kontakt zu halten, bis eine Streife vor Ort ist.

Vor allem, wenn mehrere oder bewaffnete Angreifer im Spiel sind, sollte der Notruf dem Einschreiten vorgezogen werden. Keinesfalls sollte ein Täter an der Flucht gehindert werden. Um das richtige Verhalten in Notsituationen zu erlernen, können Interessierte sich an die örtliche Polizeidienststelle wenden. Diese führen entweder selbst Kurse zur Konfliktlösung und zur Selbstbehauptung durch, oder wissen, wo diese lokal angeboten werden.

Kurse zur Selbstverteidigung können zwar helfen, sich in Konfliktsituationen sicher zu fühlen, sollten aber nicht dazu verleiten, zu schnell Gewalt anzuwenden. Aus diesem Grund sollten Zivilpersonen auch keine Waffen wie Pfefferspray mit sich tragen, da diese oft dazu verleiten, eine eigentlich ohne Gewalt lösbare Situation eskalieren zu lassen.