VON MAXIMILIAN REICHLIN | 06.05.2013 16:46

Baukastenprinzip Leben – Die synthetische Biologie und ihre Möglichkeiten

Synthetische Biologie ist ein Wissenschaftszweig, der sich mit dem Erschaffen künstlichen Lebens beschäftigt. Durch ihn soll es möglich werden, Organismen wie mit Bausteinen so zusammen zu setzen, dass sie genau die Eigenschaften und Fähigkeiten haben, die der „Bio-Designer“ sich wünscht. Was sind die Möglichkeiten dieser jungen Disziplin und wo liegen die ethischen Grenzen?

Samen, die nicht zu Pflanzen, sondern zu Häusern heranwachsen. Bäume, die selbstständig Wasserhähne sprießen lassen, um überschüssiges Wasser abzugeben. Solche Bilder, die gut auf ein Gemälde von Salvador Dali gepasst hätten, sind heute, trotz der Fortschritte der synthetischen Biologie, noch immer ziemlich surreal. In den Köpfen der jungen Bio-Designer existieren solche und ähnliche Ideen jedoch bereits.

Die Idee hinter der synthetischen Biologie ist einfach. Die Interdisziplin, die sich in den Grenzbereichen von Molekularbiologie, Chemie und Informationstechnik entwickelt hat, hat es sich zum Ziel gesetzt, synthetische Organismen zu erschaffen, deren Beschaffenheit durch sogenannte, ebenfalls künstliche, „Bio-Bricks“ definiert werden. Dazu wird eine „Chassis“, eine Lebensform, die nur mit den minimal nötigen Komponenten ausgestattet ist, mit den austauschbaren Bausteinen bestückt. Das Ergebnis ist ein Organismus, der nur diejenigen Eigenschaften hat, die der Bio-Designer ihm durch die Bio-Bricks zugewiesen hat. Soweit die Theorie.

Der bionische Mensch

In der Praxis lassen sich damit, sieht man von den obigen Science-Fiction-Vorstellungen einmal ab, auch heute bereits faszinierende Dinge anstellen. So ist es beispielsweise bereits gelungen, Bakterien zu züchten, die, je nachdem in welchem Terrain sie sich befinden, unterschiedliche Farbstoffe ausscheiden. Die Idee dahinter: Einen natürlichen „Sensor“ zu entwickeln, der Giftstoffe in Nahrungsmitteln oder Krankheitserreger im menschlichen Körper sichtbar macht. Eine andere, nicht mehr ganz so unwahrscheinliche Anwendungsmöglichkeit wäre es, künstlich Treibstoff herzustellen und damit das weltweite Energieproblem einzudämmen.

Doch die Interessen der Bio-Designer sind nicht nur wissenschaftlicher oder politischer Natur. Architekten, Künstler, kreative Köpfe, vor allem sie gehören zu denjenigen, die sich intensiv mit den Möglichkeiten der synthetischen Biologie beschäftigen. Studieren kann man die synthetische Biologie aber noch nicht, zumindest nicht als solche. An vielen Universitäten liegt allerdings bereits in vielen Studiengängen der Forschungsschwerpunkt genau darauf. Etwa im Fachbereich Technische Biologie an der Technischen Universität Darmstadt oder im Studiengang "Integrated Life Science" der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Neben all der Faszination, die die synthetische Biologie durch ihre Möglichkeiten auslöst, stößt diese junge Wissenschaft auch auf harschen Widerspruch. Kritiker unterstellen den Bio-Designern, an der Schöpfung, beziehungsweise weniger religiös an der Evolution herumzuspielen. Es ist vor allem eine philosophische und theologische Diskussion, die hier im Gange ist. Dahinter verberge sich eine Hybris, sagte zum Beispiel der Arzt und Ethiker Giovanni Maio im Gespräch mit der ZEIT. Wie viele andere zeigt er sich davon verstört, dass der Mensch Gott (oder eben Evolution) spielt, indem er biologische Bausteine zusammen setzt. „Ich plädiere dafür, dass die Naturwissenschaft eine neue Scheu entwickeln muss. Eine Scheu davor, einen Schritt zu tun, von dem man nicht weiß, wohin er führt.“

Als eine Antwort auf diese Bedenken kann man das Projekt GENESIS des Bio-Designers und Künstlers Eduardo Kac betrachten, der in das Erbgut eines Bakteriums den Baustein für ein berühmtes Bibelzitat in codierter Form integriert hat, das sich auch, ganz nach den Prinzipien der synthetischen Biologie, nur durch Einschalten einer UV-Lampe vom Betrachter auslösen lassen kann: „Herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel im Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“