VON CLEMENS POKORNY | 02.10.2012 16:58

Pestizide: Ein notwendiges Übel?

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden synthetische Pflanzenschutzmittel zur Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft eingesetzt. Doch Pestizide sind nicht alternativlos.

In den Römischen Verträgen von 1957 einigten sich Belgien, die BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande unter anderem auf einen gemeinsamen Agrarmarkt, der eine „Modernisierung der Agrarstrukturen“ erforderte. In der Folge kam es vielerorts zu Flurbereinigungen, also Neuordnungen von land- und forstwirtschaftlichem Grundbesitz – mit gravierenden Folgen für die Biodiversität. Um die wachsende Bevölkerung ernähren zu können, wurden unter Zerstörung von Hecken und Gebüschen Felder zusammengelegt, Moore entwässert, Bäche und Flüsse begradigt und Gräben zugeschüttet. Der unvermeidliche Artenschwund in Flora und Fauna bedeutete einen Rückgang der natürlichen Feinde von Agrarschädlingen und Unkräutern. Zusätzlich begünstigten die großflächigen Monokulturen die Ausbreitung von Krankheiten. Gegen die mit diesen Problemen verbundenen Ernteausfälle setzten die Bauern daher zunehmend synthetische Pestizide ein, die etwa seit Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt werden.

Mit diesem Begriff werden allgemein nicht nur Substanzen bezeichnet, die tierischen Schädlingen (engl.: pests) beikommen sollen, sondern auch alle Arten von sonstigen Pflanzenschutzmitteln. Unkräuter stellen die größte Herausforderung für die konventionelle Landwirtschaft im industriellen Maßstab dar, weil sie den Kulturpflanzen Wasser, Nährstoffe und Licht nehmen. Dementsprechend haben Herbizide den größten Anteil an den jährlich fast 40.000 Tonnen in Deutschland ausgebrachten Pestiziden. Sie hemmen die Photosynthese oder die Biosynthese (also den Aufbau komplexer organischer Substanzen wie Aminosäuren, Proteine, Fette, Kohlenhydrate, Nukleinsäuren und Hormone) in den unerwünschten Pflanzen oder regen diese zu einem beschleunigten Wachstum an, das den Organismus überfordert und so zu seinem Zusammenbruch führt. Um die Kulturpflanzen selbst nicht zu schädigen, werden Herbizide meist vor oder während der Aussaat versprüht. Alternativ können mithilfe der Grünen Gentechnik Sorten gezüchtet werden, die gegen die zu verwendenden Pflanzenschutzmittel resistent sind. Neben Herbiziden spielen auch viele weitere Substanzen wie Insektizide, Fungizide (gegen Pilzkrankheiten), Bakterizide oder Viruzide eine Rolle im Pflanzenschutz.

Die Sicherheit von Pestiziden wird in Tierversuchen erprobt. Diese besitzen aufgrund der unterschiedlichen Organismen von Versuchstieren und Menschen freilich nur eine begrenzte Aussagekraft. Deshalb wird als Grenzwert für die Anreicherung von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln ein Prozent derjenigen Menge angesetzt, die z.B. eine Ratte bei täglicher Zuführung der Substanz im Futter problemlos verträgt. Auf diese Weise werden vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für jedes zugelassene Pestizid Grenzwerte festgeschrieben, die bei Kontrollen oft überschritten werden.

Massenphänomen Hunger

Auch die heute verkauften Pflanzenschutzmittel schädigen die Umwelt mehr oder weniger stark, insbesondere durch eine Reduktion der Artenvielfalt, da viele von der Landwirtschaft als „Schädlinge“ angesehene und daher bekämpfte Tiere und Pflanzen die Lebensgrundlage für andere Tiere darstellen. Obwohl in der ökologischen Landwirtschaft chemische Pestizide verboten sind, setzen manche Biobauern aus Mangel an Alternativen Kupfersulfat gegen die Knollenfäule bei Kartoffeln und Tomaten ein. Dieser Stoff stellt eine große Gefahr für Wasserlebewesen und Menschen dar, die in unmittelbaren Kontakt mit der Substanz kommen. Vorrangig werden aber in der biologischen Landwirtschaft – wie z.T. auch in der konventionellen – Maßnahmen zum biologischen Pflanzenschutz getroffen: die Züchtung pilz- und krankheitsresistenter Sorten, biologische Schädlingsbekämpfung durch Förderung der natürlichen Feinde von Pflanzenschädlingen (sogenannte „Nützlinge“) oder auch Selbstvernichtungsverfahren durch massenhaftes Aussetzen von sterilisierten Schädlingen gehören dazu.

Um Ernteausfälle von bis zu 30% zu vermeiden, die ohne Pestizideinsatz zu erwarten wären, bleiben Pflanzenschutzverfahren unabdingbar – aber neben ihrer Ungefährlichkeit für den Menschen muss auch ihre Unbedenklichkeit für die Umwelt berücksichtigt werden.