VON CLEMENS POKORNY | 02.01.2016 16:40

Gut ist nicht gut genug. Zum OECD-Bildungsbericht 2015

In Deutschland steht es besser um die Bildung als früher, doch noch gibt es einiges zu tun. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Bildungsbericht der OECD. Bildung als Voraussetzung für den Zugang zu gut bezahlten Arbeitsplätzen ist noch längst nicht allen gleichermaßen zugänglich. Und insbesondere hierzulande, wo Bildungsabschlüsse besonders stark vom Geldbeutel der Eltern abhängen, werden Schulen und Universitäten zu schlecht finanziert.

Deutschland tut viel für Bildung, aber bei weitem nicht genug. So ließen sich die Ergebnisse des neuen OECD-Bildungsberichts, die Bundesrepublik betreffend interpretieren. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat wie jedes Jahr Daten zum Bildungsgrad der Bevölkerung ihrer Mitgliedsländer erhoben und diese zueinander und zu den Daten der Vorjahre in Beziehung gesetzt. Dabei betrachtet sie, und das sollte vorab erwähnt werden, Bildung in erster Linie als Schlüssel zu Einkommen und Wirtschaftswachstum.

OECD-weit betrachtet – d.h. über 34 Länder mit Demokratie, Marktwirtschaft und einem relativ hohen Pro-Kopf-Einkommen hinweg – ziehen die Autoren eine grundsätzlich positive Bilanz. Immer mehr junge Menschen streben einen tertiären, also akademischen Abschluss an und immer mehr erreichen dies auch: 41% sind es bereits im Durchschnitt. Sie haben nach ihrem letzten Abschluss leicht häufiger einen Arbeitsplatz als Arbeitskräfte ohne tertiären Abschluss, und sie werden dafür deutlich besser entlohnt als andere Erwerbstätige. Ob jemand aus einem Akademiker-Elternhaus kommt oder nicht, spielt in den OECD-Staaten wegen des hohe Anteils an Kindern in frühkindlichen Bildungsmaßnahmen tendenziell eine eher geringe Rolle. Ungleiche Bezahlung und Verzicht von in einer Beziehung lebenden Frauen auf Berufstätigkeit spielen unter Hochqualifizierten eine geringere Rolle als unter Berufstätigen mit niedrigeren Abschlüssen. Die Lehrkräfte schließlich werden schlechter bezahlt als Erwerbstätige mit vergleichbarem Abschluss und bei ihnen ist eine Überalterung festzustellen.

So weit, so pauschal. Denn erstens sind diese Befunde nur als OECD-Durchschnitt aussagekräftig, aber eben nicht zwingend auch für Deutschland, und zweitens geht der Bildungsbericht von impliziten Annahmen und Werten aus, die nicht von allen geteilt werden. Dass etwa in Deutschland derzeit immer neue Höchstzahlen unter den Erstsemestern vermeldet werden, mag drohendem Fachkräftemangel abhelfen – kann aber auch dazu führen, dass die Unis mittelfristig massenhaft erwerbslose oder unterbezahlt arbeitende Akademiker und Akademikerinnen produzieren. Immerhin wird von verschiedener Seite bezweifelt, dass Deutschland bald die Fachkräfte ausgehen. Die Wirtschaft hat aber natürlich ein Interesse an einem großen Angebot an Arbeitskräften, die umso billiger zu haben sind, je mehr es von ihnen gibt. Die (Bildungs-) Ungleichheit durch familiäre Herkunft wiederum ist nirgendwo in der EU so stark ausgeprägt wie in Deutschland, für das somit die OECD-Befunde nicht zutreffen dürften. Und weltweit betrachtet gehören Deutschlands Lehrer zu den am besten bezahlten und zu den besten Bedingungen (Lebenszeitverbeamtung!) arbeitenden, während sie nur in wenigen Bundesländern derzeit zu alt sind und nur in Ostdeutschland auch mittelfristig der Bedarf an ihnen das Angebot übersteigt.

Reiches Land – arme Kinder

Gut schneidet Deutschland bei den Bemühungen um Chancengerechtigkeit sowie bei der international verglichen sehr niedrigen Jugendarbeitslosigkeit ab (10,1% erwerbslose 20- bis 24-Jährige gegenüber 17,9% im OECD-Durchschnitt). Wie früher bereits lobt die OECD das duale System (Ausbildung und Berufsschule), das international einzigartig ist. Doch nach wie vor gibt der Staat zu wenig Geld für unsere einzige nennenswerte Ressource aus: nur 4,4% des BIP – im OECD-Mittel sind es 5,3%. Gerade angesichts der hohen und weiter wachsenden Zahlen an Eingewanderten sind steigende Ausgaben im Bildungssektor aber wohl unumgänglich.

Apropos: Ein weiterer Befund der OECD lautet, dass Kinder mit Migrationshintergrund, die vor dem 6. Lebensjahr in ihr neues Heimatland gekommen sind, schulisch mehr Erfolg haben als solche, die in ihrem Heimatland eingeschult wurden. Hierzulande werden sie meist erst einmal in „Willkommensklassen“ aufgenommen, bevor sie – mit hinreichenden Deutschkenntnissen ausgestattet – in „normale“ Klassen wechseln. Dazu sei angemerkt, dass eine Zweitsprache erfahrungsgemäß am besten durch den täglichen Kontakt und Austausch mit Muttersprachlern erlernt wird. Allerdings wird auf diese Weise nur die Umgangs-, nicht aber die für den Schulerfolg in sprachlichen und Lernfächern so wichtige Schriftsprache erlernt.

Bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden schließlich bleibt Deutschland ein Sorgenkind. Zwar weiß man längst, dass die messbaren Leistungsunterschiede – Jungs sind besser in Mathe, Mädchen ragen in Sprachen hervor – auf Klischees und Rollenmustern sowie auf Unterschieden im Selbstvertrauen beruhen. Doch die bisher angewandten Strategien, dem vorzubeugen und abzuhelfen, schlagen noch nicht durch.

So lässt sich aus dem OECD-Bildungsbericht für Deutschland ein gemischtes Fazit ziehen: Gut stehen wir da, aber wir könnten auch schon weiter sein. Mehr Geld für Bildung wäre in jedem Fall ein richtiger Ansatzpunkt, um weitere Fortschritte zu machen, aber nicht der einzige und letzte.