VON CLEMENS POKORNY | 06.11.2013 15:31

Was macht erfolgreichen Unterricht aus?

Wie guter Unterricht aussieht, dazu gibt es viele verschiedene Meinungen. Doch auch die „weiche Disziplin“ Erziehungswissenschaft kennt empirische Erhebungen. Der Neuseeländer John Hattie hat approximativ alle englischsprachigen davon ausgewertet und erhebt den Anspruch, in seiner Studie „Visible Learning“ „messbare Evidenz“ zu präsentieren. Seine teilweise überraschenden Ergebnisse widersprechen vielen liebgewonnenen Vorstellungen von fortschrittlichen wie konservativen Pädagogen. Am wichtigsten für den Lernerfolg in der Schule ist nach Hattie übrigens: die Lehrkraft.

Nicht erst seit PISA & Co. diskutieren wir über die Schulbildung, und in Deutschland liegen besonders tiefe Gräben zwischen den Verfechtern der verschiedenen Schulsysteme, also der Frage nach gegliederter oder Gemeinschaftsschule. Neuere Untersuchungen zur Schul- und Unterrichtsqualität legen allerdings nahe: Darauf kommt es nicht wesentlich an. Auch aus den verschiedenen Lehrmethoden von Frontal- bis offenem Unterricht ragt keine gleichsam als Patentrezept heraus. Entscheidend für guten Unterricht ist vielmehr – wir hatten es geahnt – die Lehrkraft.

Lehramt – Beruf mit Zukunft?

Dies ist eines der wesentlichen Ergebnisse der Meta-Meta-Studie „Visible Learning“, in der der neuseeländische Erziehungswissenschaftler John Hattie 800 Meta-Analysen zum Lernerfolg ausgewertet hat, die ihrerseits über 50.000 Einzeluntersuchungen mit 250 Millionen beteiligten Schülern aus dem englischen Sprachraum umgreifen. Nie zuvor war versucht worden, sämtliche Erhebungen in englischer Sprache dazu auszuwerten, was erfolgreichen Unterricht ausmacht. Die Kernergebnisse der 2008 nach anderthalb Jahrzehnten akribischer Forschungsarbeit erschienenen Analyse: Leistungsdenken und eine emotional engagierte Pädagogik schließen sich bei Hattie nicht aus. Offener und jahrgangsübergreifender Unterricht, wie er tatsächlich praktiziert werden, bringt eher nichts, Sitzenbleiben ist schädlich, eine geringe Klassengröße garantiert guten Unterricht noch lange nicht und besonders wichtig sind präzise Rückmeldungen der Lehrkraft, die sich im Übrigen nicht als bloßer Gestalterin von Lernumgebungen, sondern als zurückhaltende Regisseurin der Klasse verstehen soll. Sie muss selbige im Griff haben (classroom management), was wertvolle Unterrichtszeit rettet, und klar formulierte Arbeitsaufträge kommunizieren bzw. eben solche Fragen stellen (teacher clearity). Im fragend-entwickelnden Verfahren, wie der Frontalunterricht auch genannt wird, neigen Schüler dazu, nur noch darauf aus zu sein, was die Lehrperson von ihnen hören möchte. Sinnvoller lehrerzentrierter Unterricht braucht daher viel Zeit, in der die Schüler ergebnisoffen nachzudenken lernen. Auch wenn Lehrersteuerung in der Schule also ruhig dominieren darf, ist sich Hattie mit vielen seiner Kollegen weltweit einig: Die optimale Unterrichtsform und -methode gibt es nicht. Sie muss vielmehr stets in Abstimmung zu den Lehrinhalten (dem Schulstoff) und der je spezifischen Klasse gewählt werden.

Haben wir also mit der bei uns verbreiteten Mischung aus überwiegendem lehrerzentrierten Unterricht und ergänzenden alternativen Lern- und Sozialformen schon längst den Heiligen Gral erfolgreichen Unterrichtens gefunden? Der Abstand zu PISA-Siegerländern insbesondere in Ostasien spricht dagegen. Doch der Schulforscher Andreas Helmke verweist in diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf die unterschiedlichen Mentalitäten. Von vietnamesischen Kindern etwa erwarten deren Familien ein Höchstmaß an Fleiß und Selbstdisziplin in der Schule wie bei der Erledigung der Hausaufgaben – während mancher bei deutschen Helikoptereltern den Eindruck gewinnt, diese erwarteten insgeheim die Verleihung der Abitur- gleich bei Aushändigung der Geburtsurkunde. Und weil die Unterrichtsqualität so sehr an den soft skills der Lehrerpersönlichkeit hängt, hängt erfolgreicher Unterricht letztlich immer von ihr ab und eben kaum von den Rahmenbedingungen. Ein schwedisches Experiment hat dieses Postulat Hatties untermauert: Motivation und Leistung von Schülern einer Brennpunktschule nahmen sprunghaft zu, als ausgewählte Lehrkräfte die Klasse übernahmen.

Dass diese zu vorbildlichen Erziehungsspezialisten wurden, verdanken sie nach Helmke und entgegen landläufiger Meinung kaum einer natürlichen Begabung. Unterrichten ist solides, erfahrungsbasiertes Handwerk. Selbst-Evaluationen dürften durchaus öfter als bisher z.B. mittels Videoaufzeichnungen bewerkstelligt werden. Wenn Lehrkräfte dann noch feinfühlig die unausgesprochenen Bedürfnisse ihrer Schützlinge wahrnehmen, steht erfolgreichem Unterricht nichts mehr im Weg.