VON ANGELA SCHWEIZER | 17.02.2015 16:24

Empowerment in Bildung und Entwicklungszusammenarbeit

Menschen sind aufgrund körperlicher Eingeschränktheit, Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion oder sozialer Klasse in unseren Gesellschaften vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt. Im globalen Süden kommt die Problematik der Dominanz des westlichen Bildungsmodells hinzu, da diese oftmals eine Anpassung an bestehende Herrschaftsverhältnisse bedeutet. Das aus der Psychologie und Sozialpädagogik stammende Konzept des Empowerment soll dabei helfen, das Selbstvertrauen benachteiligter Gruppen und somit die Partizipation an politischen Prozessen zu stärken.


Empowerment, zu Deutsch „Selbstbefähigung“ oder „Selbstermächtigung“ entwickelte sich aus den Erfahrungen von Selbsthilfegruppen und politischen Initiativen im anglo-amerikanischen Sprachraum. Arme, arbeitslose, kranke, sozial und kulturell benachteiligte Menschen suchten neue Wege, um Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen. Eigene Stärken und Ressourcen sollen vor allem im Austausch mit anderen entdeckt und mobilisiert werden. Der Grundgedanke des Empowerment besteht darin, dass alle Menschen über individuellen Ressourcen verfügen. Ausgangsbasis ist also nicht wie üblich, eine defizitorientiere Betrachtung von Menschen, sondern eine Orientierung an vorhandenen Ressourcen, die vor allem die Stärken, Fähigkeiten und Potentiale der einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Menschen, die sich aufgrund äußerer Umstände in einer machtlosen Situation befinden, sollen so Handlungskompetenz zurückerlangen. Damit sind vor allem Maßnahmen und Strategien gemeint, die die Gestaltung eines unabhängigen und selbstbestimmten Lebens ermöglichen.

Weniger Party mehr Partizipation

Pädagogik der Unterdrückten: Paulo Freire und Empowerment im globalen Süden

Auch in der Entwicklungszusammenarbeit gilt das Empowerment als zentrales Konzept, um benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu stärken. Der Brasiliener Paulo Freire entwickelte ein Empowermentkonzept, das bis heute im globalen Süden und darüber hinaus erfolgreich angewandt wird. Freire wurde 1921 in Recife, Brasilien, geboren. Nach 1929 geriet die Familie in den Strudel der Weltwirtschaftskrise. Freire erfuhr, was Hungern bedeutet. Daher schwor er sich im Alter von 11 Jahren, sein Leben dem Kampf gegen den Hunger zu widmen. Freire wurde zunächst Anwalt, gab dann den Beruf auf, wurde schließlich Lehrer, Professor für Geschichte und Philosophie der Pädagogik. Zu Beginn seiner Arbeit entdeckte Freire die „Kultur des Schweigens“. Nicht nur die Bevölkerung der Slums, sondern auch das ländliche Proletariat Lateinamerikas schienen nahezu bildungsunfähig zu sein. Nachdem sie die Schule verließen, rutschten viele Menschen wieder zurück in den Analphabetismus. Das Klischee der „Unterentwickelten“ war folglich bestätigt. Freire fragte sich, woher diese Apathie der Unterdrückten kommt. Für ihn hatte dies die Begründung, dass nicht die Massen apathisch sind, sondern die Herrschaft der Eliten sie apathisch mache. Kolonialmacht und Klassenherrschaft werden aufrechterhalten, da von den Beherrschenden so gewollt und von den Unterdrückten verinnerlicht. Sie sehen sich selbst als „nichtig“, verinnerlichen Bilder von Armut, Unwissenheit. Freire ist der Ansicht, dass Erziehung nicht neutral sein kann. Entweder befreie sie den Menschen oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückung. Bildung nach westlichem Modell, so Freire, ist für die Menschen des globalen Südens eine Anpassung an bestehende Herrschaftsverhältnisse.

Empowerment durch Alphabetisierung und demokratische Prozesse

Alphabetisierung fungiert für Freire als ein Mittel zum Empowerment unterdrückter Gruppen. Ziel ist der soziale und politische Wandel. 1947 begann Freire mit der Alphabetisierung unter erwachsenen Analphabeten und entwickelte dabei die Empowermentmethode „Reflect“. Reflect breitet sich seit seiner Einführung rasch aus und wird gegenwärtig von über 500 Organisationen in über 70 Ländern angewandt. Die Methode gewann mehrmals den UNESCO Literacy Price, zuletzt im Jahre 2010. Es handelt sich dabei um einen hierarchiefreien Raum, in welchem die Gruppe selbst in einem demokratischen Abstimmungsprozess entscheidet, was für sie wichtig ist. Es gibt weder Bücher noch Schulhefte, auch das Lernmaterial wird von der Gruppe selbst hergestellt. Daher gibt es bei Reflect keinen Frontalunterricht, die partizipatorischen Methoden sollen helfen, eine offene, demokratische Umgebung zu schaffen in welcher jeder etwas beitragen kann.