VON LISI WASMER | 28.06.2014 12:55

Ausdrucksstarke Augenblicke – Mikroexpressionen zeigen unser „wahres Gesicht“

Im Alltag zeigen wir selten unser „wahres Gesicht“. Wir lächeln hier aus Konvention, verstecken dort unsere Angst, um besser dazustehen. Ganz verbergen können wir unsere Gefühle aber nie, sagt der renommierte Psychologie Paul Ekman. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wallace Friesen entwickelte er ein Kodierungssystem für Gesichtsausdrücke und erforschte sogenannte Mikroexpressionen, anhand derer sich Emotionen in unserer Mimik manifestieren, selbst dann, wenn wir unsere Gefühle lieber für uns behalten wollen. Nun trainiert er andere darin, diese richtig zu erkennen und zu deuten – und damit fast schon Gedanken zu lesen.

Augenbrauen hoch, die Augen weit aufgerissen, der Mund offen, aber entspannt. Wer ein solches Gesicht macht, sieht überrascht aus. Ein zorniger Mensch hingegen zieht die Augenbrauen nach innen und unten, die unteren Lider spannen sich an, die Lippen werden schmal. Diese und fünf weitere Gesichtsausdrücke beschreibt der Psychologe Paul Ekman als prototypisch für je eine von sieben Emotionen. Tatsächlich seien sie so stark in unserer Mimik verankert, dass wir sie sogar dann präsentieren, wenn wir eigentlich versuchen unsere wahren Gefühle zu verbergen – für den Bruchteil einer Sekunde treten sogenannte Mikroexpressionen auf, die unsere tatsächlichen Emotionen verraten.

Optische Manipulation

Die sieben Grundemotionen nach Ekman

Ekmans weitreichende Bekanntheit beruht nicht zuletzt auf der Rezeption seiner Forschungsergebnisse in der weithin bekannten Fernsehserie „Lie to me“ von 2009, bereits in den 1960er Jahren erregte er mit seinen Studien zur interkulturellen Universalität von nonverbaler Kommunikation bereits die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Was hier so kompliziert klingt, heißt im Grunde nichts anderes als das: Wir erkennen, wenn jemand überrascht, traurig, zornig oder fröhlich dreinschaut – unabhängig davon, ob er ein Mitglied unseres eigenen Kulturkreises ist oder etwa Angehöriger eines indigenen Naturvolks aus Papua Neuguinea. Die Verbindung von Gesichtsausdrücken zu bestimmten Emotionen ist nicht kulturelle Konvention. Sie scheint natürlich und von vornherein gegeben.

Von diesen Grundemotionen gibt es laut Ekman sieben: Angst, Wut, Ekel, Verachtung, Trauer, Überraschung und Freude. Jede führt zu einem anderen Gesichtsausdruck also zu verschiedenen Kontraktionsmustern der Gesichtsmuskeln. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wallace Friesen entwickelte Ekman ein entsprechendes Kodierungssystem (Facial Action Coding System, FACS), das heute den Goldstandard für die Gesichtsausdruckserkennung darstellt.

Ausdrucksstarke Mikroexpressionen

Neben seiner allgemeinen Forschung zur nonverbalen Kommunikation fand Ekman bald zu dem Spezialgebiet, das letzten Endes auch die Brücke zur US-Serie „Lie to me“ schlägt: Täuschung. Er untersuchte klinische Fälle, in denen schwer depressive Patienten ihren Betreuern gegenüber behaupteten, sie fühlten sich gut, um sich in einem unbeobachteten Moment das Leben nehmen zu können. Die Gespräche zwischen den Patienten und ihren Betreuern wurden aufgezeichnet, in der Zeitlupe wurde sichtbar, dass der positive Gesichtsausdruck der Patienten immer wieder durchbrochen wurde – von Mikroexpressionen, weniger als 1/15-Sekunde lang, die ihre tatsächlichen Emotionen offenbarten.

Weitere Studien legten nahe, dass diese Mikroexpressionen immer dann auftreten, wenn Menschen mit ihrer Mimik nicht ihre wahren Gefühle ausdrücken – sei es, weil sie ihre wahren Emotionen selbst nicht kennen, sie also verdrängen, oder weil sie versuchen, diese gezielt zu verbergen, wie das beim Lügen in der Regel der Fall ist.

Interpretationsspielraum Gesicht

Während früher angenommen wurde, dass Mikroexpressionen aufgrund der Kürze ihres Auftretens für das menschliche Auge nicht sichtbar seien, konnten Ekman und Friese nachweisen, dass sich die Fähigkeit die verräterischen Gesichtsausdrücke wahrzunehmen, trainiert werden kann. Auf seiner Website bietet Ekman heute zahlreiche Bücher, Videos, Photopakete und Workshops an; es gibt eine App, mit der man üben kann die einzelnen Emotionen je nach Mikroexpression zu unterscheiden; das Online-Magazin „CIO.com“ verspricht bessere Führungsqualitäten durch die Nutzbarmachung der Mikroemotionserkennung - Gedankenlesen für alle?

Nicht ganz. Denn allein die Fülle an Trainingsangeboten ist schon ein Beleg dafür, dass das erkennen der Mikroexpressionen die eine Sache ist – eine ganz andere ist das richtige Deuten der Emotionen, die hinter den kurzzeitigen Gesichtsverrenkungen stecken, ganz abgesehen von den Ursachen für diese Emotionen. Es mag sein, dass das Auftreten von Mikroexpressionen als Indikator dafür dient, dass jemand eine uneindeutige Gefühlslage aufweist. Wie diese zustande kommt und ob sie willentlich zur Täuschung des Gesprächspartners eingesetzt wird, ist aber eine andere Frage.