VON JULIA ZETZ | 20.06.2014 17:39

Mit den Füßen fühlen

Wir verstecken sie, packen sie weg und sehen sie nur ganz selten: unsere Füße. Aufmerksamkeit erhalten sie wenig, dabei sind sie eigentlich unsere zweiten Hände. Im Laufe der Jahre verlernen wir mit unseren Füßen zu fühlen und die Welt zu entdecken, wir tasten nur mit den Händen nach Dingen und fühlen nur durch unsere Fingerspitzen.

Doch was würde geschehen, wenn wir im Erwachsenenalter wieder lernen würden wie es sich anfühlt barfuß die Welt zu entdecken? Könnte sich barfuß gehen als neuer Trend etablieren? Wohl eher nicht, aber ich wollte einmal wissen, wie es sich anfühlt, so ganz ohne Schuhe. Was werde ich wohl spüren? Tut es weh? Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht und wie ich meine Kindheit zurück entdeckte.


Das sind also meine Füße. Schuhgröße 38, guter Durchschnitt, ein bisschen krumm. Noch nie habe ich sie so genau betrachtet. Sie sind auch ein bisschen faltig, sieht komisch aus. Und die Hornhaut ist nicht so besonders schön. Kein Vergleich zu den super-gepflegten Füßen aus der Werbung. Na gut, ich habe auch keine Kosmetikerin, die mir stundenlang die Füße pflegt. Aber ich schweife ab. Warum ich meine Füße so genau betrachtet habe? Weil in wenigen Stunden mein Experiment starten sollte: ein Tag ohne Schuhe. Zum Glück ist es schön warm draußen, sonst wäre das Experiment auch ein Überlebenstraining.

Sei mal neugierig! – Ein Experiment

Es piekst und kratzt

Die ersten Stunden meines barfuß seins beginnen relativ harmlos. Aufstehen, duschen, anziehen und – verdammt – die Socken müssen heute im Schrank bleiben. Aber gut, bei 22 Grad Außentemperatur morgens um acht ist das wohl zu verkraften. Der morgendliche Kaffee schmeckt wie sonst auch, sogar die ersten Stunden am Computer verlaufen ohne größere Vorkommnisse. Gegen Mittag klingelt es an der Tür, es ist meine Mama. Ich solle doch bitte auf den Hund aufpassen, sie muss für ein paar Stunden weg. Ach und, ich solle doch mit ihm spazieren gehen.

Alles kein Problem sage ich zu mir selbst, den Blick auf meine Füße gerichtet. Ich packe mir also meinen Hund und los geht’s. Kaum habe ich unser Grundstück verlassen verziehe ich vor Schmerzen das Gesicht. Meine Cinderella-Füßchen treffen auf die harte Realität, bestehend aus heißem Asphalt und fiesen kleinen Steinen. Meinem Hund ist das gänzlich egal, er will spazieren gehen. Nach weiteren zehn Metern voller Schmerzen gewöhnen sich meine Füße langsam zumindest an die Temperatur des Bodens. Ein komisches Gefühl, das Barfußsein. Ich ertappe mich dabei, wie ich den Blick ständig auf dem Boden habe, denn ich habe Angst ich könnte auf etwas treten und mich verletzen.

Der Wunsch nach Seife

Wieder zu Hause angekommen betrachte ich meine Füße. Sie sehen weniger nach Cinderella, denn vielmehr nach der bösen Stiefmutter aus: schwarz, voller Dreck und die ersten kleinen Wunden zeichnen sich ab. Ich möchte mir ganz dringend die Füße waschen, aber meine selbstauferlegten Regeln verbieten mir das. Nachdem ich meine Mauken ausgiebig bemitleidet habe stelle ich fest, ich brauche etwas zu essen. Also auf zum Supermarkt und das mit dem Rad, denn barfuß Autofahren ist verboten. Nicht weniger schmerzhaft als der heiße Asphalt sind die kantigen Pedale meines Drahtesels. Der Weg wird zur Tortur, denn das ständige anhalten und losfahren schmerzt stetig.

Im Supermarkt angekommen treffen mich die ersten Blicke. Es wird getuschelt und mit dem Finger schamlos auf mich und meine geschundenen Füße gezeigt. Ich fühle mich seltsam, wie eine Aussätzige. Aber die kalten Fließen im Supermarkt sind eine derartige Wohltat, dass mir die dummen Blicke egal sind.

Das Gefühl zu fühlen

Am Abend mache ich mich auf den Weg zu meiner besten Freundin, schließlich will ich meine Erlebnisse des heutigen Tages mit ihr teilen und meine Füße waschen. Also schwinge ich mich erneut auf meinen Drahtesel und trete in die Pedale, der Schmerz lässt sich diesmal aushalten, liegt vielleicht an der enormen Dreckschicht auf meinen Fußsohlen. Kurz bevor ich bei meiner Freundin angekommen sehe ich etwas, ich kann es kaum glauben. Es zieht mich magisch an, ich kann nicht anders, ich muss anhalten. Ein einsamer Vorgarten, ohne erkennbare Besitzer. Der Rasen ist perfekt, saftig grün und voll bewachsen. Das allein ist es nicht, was mich so fasziniert, es die ist Sprinkleranlage. Die Vorstellung wie meine geschundenen und schmerzenden Füße auf dem kühlen und weichen Rasen auftreten lässt mich in den siebten Himmel schweben. Gesagt, getan, meine Füße berühren das Gras. Es ist genauso weich wie ich es mir vorgestellt hatte, wie ich es in Erinnerung hatte. Als ich noch ganz klein war, lag ich im Sommer immer unter dem Rasensprinkler und genoss die abendliche Kühle. Dieses kindliche Gefühl schoss mir in die Magengrube wie ein Bier in der Sonne. Ich genoss das Gefühl des Fühlens, diese Erinnerung aus der Kindheit, dieses wohlige Gefühl im Bauch. Zumindest solange bis Brutus mich entdeckte.