VON CLEMENS POKORNY | 16.09.2016 10:21

Kuckucksväter: Wenn du ein Kind hast, das nicht dein Kind ist

Am 31. August hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf beschlossen, der eine Lücke in der Regelung des Kindesunterhalts schließen soll: Wenn ein Mann erfährt, dass „sein“ Kind von einem anderen Mann gezeugt wurde, soll die Mutter nun gezwungen werden können, den Namen dieses Anderen preiszugeben. Was nach einer Stärkung der Rechte des „Kuckucksvaters“ aussieht, verkompliziert die Sache nur. Doch im Justizministerium interessiert die Position der Betroffenen nicht.

„Die Antwort auf die Frage, wer meine biologischen Eltern sind und wer mein biologisches Kind ist, zählt zu den ganz elementaren Rechten und Bedürfnissen eines jeden Menschen.“ So positioniert sich eine Nutzerin eines Forums der Süddeutschen Zeitung. Und hebt dabei auf die bis zu vier Prozent der Kinder ab, deren soziale Väter nicht mit den biologischen übereinstimmen. Man nennt sie Schein- oder Kuckucksväter, und ihre Rechte sollen derzeit per Gesetz gestärkt werden. Kritische Stimmen sehen das anders. Doch der Reihe nach.

Als nicht betroffener Mensch könnte man sich ja fragen: Warum wollen Väter eigentlich so genau wissen, ob das Kind, das sie schon seit Jahren mit großziehen, auch von ihnen gezeugt wurde? Und warum reicht entsprechenden Kindern dieser soziale Vater nicht aus? Zum einen entstehen Eigenschaften einer Person nicht nur unter Umwelteinflüssen; zu 50% sind sie auch genetisch bedingt. Zwischen einem Kind und seinem leiblichen Vater besteht also in jedem Fall eine enge Verbindung. Zum anderen sehen Viele diese Sache ähnlich wie die eingangs zitierte Userin: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, zu wissen, von wem er abstammt bzw. ob das Kind, das er für das seinige hält, auch tatsächlich von ihm gezeugt wurde – weil dieses Wissen ein Teil unserer Identität ist.

Dieses Recht räumt der Gesetzgeber allen Beteiligten (Vater, Mutter, Kind) seit 2008 auch ein: Jeder Beteiligte kann einen Vaterschaftstest verlangen; notfalls setzt ein Familiengericht diesen Anspruch durch. In der Praxis kommt es meist dann dazu, wenn die Mutter-Vater-Beziehung zerrüttet oder bereits aufgelöst ist: Stellt sich nämlich heraus, dass der soziale ein Kuckucksvater ist, kann er die juristische Vaterschaft gerichtlich anfechten, sich also gegen die Pflicht zur Leistung von Unterhaltszahlungen wehren und bereits geleistete Zahlungen vom biologischen Vater zurückfordern. Das setzt freilich voraus, dass der Kuckucksvater von der Mutter erfährt, wer der eigentliche Vater ist. Wenn die Mutter sich weigert, dies preiszugeben, kann sie nach dem neuen Gesetzentwurf mit Zwangsgeld oder Zwangshaft dazu gezwungen werden – außer, wenn die Preisgabe des biologischen Vaters für die Frau „nicht zumutbar“ wäre, etwa dann, wenn es sich um ihren leiblichen Bruder handelt.

Genau daran krankt dieser Gesetzesentwurf. Denn um zu beurteilen, ob die Nennung unzumutbar ist, müsste ein Dritter (etwa ein Gericht) ja doch erfahren, wer der wahre Vater ist – ein logischer Zirkel, wie ein Blogger, selbst Kuckucksvater, feststellt. Im Zweifelsfall könnte eine Mutter daher einfach darauf beharren, die an sie gerichtete Forderung als unzumutbar im Sinne des Gesetzes zu bezeichnen – niemand könnte ihr das Gegenteil nachweisen. Außerdem kann sie immer vorschieben, sich nicht mehr daran erinnern zu können, wer sie geschwängert habe. Ein anderer Blogger und Kuckucksvater, Ludger Pütz, fordert daher im SZ-Interview eine völlig andere Herangehensweise. Im Sinne des Bedürfnisses, Klarheit über Abstammung bzw. Vaterschaft zu haben, sollte erstens die juristische Definition von „Vater“ vereinfacht werden: Statt sozialem, juristischem und biologischem gäbe es dann nur noch den biologischen Vater oder Erzeuger. Dieser sollte, zweitens, unmittelbar nach der Geburt per obligatorischem Vaterschaftstest ermittelt werden. Denn eine Ermittlung erst auf Verlangen eines Beteiligten vergiftet die Beziehung der Partner: Will die Mutter den Test, muss der Vater an ihrer Treue zweifeln; besteht dieser darauf, kann sie nicht anders als ihre Treue in Zweifel gezogen zu sehen. Wird prinzipiell Klarheit über die Vaterschaft des aktuellen Partners der Mutter hergestellt, entfallen diese Probleme, und Kuckuckskinder (sowie -väter) erleiden nicht mehr erst Jahre später eine Identitätskrise. Und drittens kritisiert Pütz, dass die ganzen Probleme um die geplante erzwungene Sex-Auskunft nur entstehen, weil biologischer und Kuckucksvater im Streit um den Unterhalt gegeneinander ausgespielt werden: „Dabei hat sie [die Mutter] betrogen, nicht nur im zwischenmenschlichen Sinn. Sie hat ein Finanzdelikt begangen. Der Regressanspruch des Scheinvaters sollte sich daher ungemindert an sie richten – nicht an den biologischen Vater.“ Letzterer wisse ja oft nichts von seiner Vaterschaft. Wenn die Mutter dem Kuckucksvater den Unterhalt zurückerstatten müsse, könne sie sich, wie Pütz süffisant anmerkt, vielleicht auch besser und williger daran erinnern, wer denn der biologische Vater gewesen sein könnte – denn von diesem könne sie danach ja diese Unterhaltszahlungen nachträglich einfordern.

Reiches Land – arme Kinder

Ein weiterer Schwachpunkt des Gesetzentwurfs: Der Scheinvaterregress, also der Anspruch des Kuckucksvaters auf Rückzahlung der zu Unrecht geleisteten Unterhaltszahlungen, soll auf zwei Jahre rückwirkend begrenzt werden. Begründung: Vor dieser Zeit finde gewöhnlich ein normales Familienleben statt, das nicht rückabgewickelt werden solle (während sich ein Prozess um Anfechtung der juristischen Vaterschaft und Rückzahlung der Unterhaltszahlungen schon mal zwei Jahre hinziehen kann). Doch warum sollten länger als zwei Jahre zurückliegende Ansprüche des Kuckucksvaters einfach verfallen?

Ganz offensichtlich hat das zuständige Justizministerium betroffene Kuckucksväter gar nicht erst nach ihrer Meinung gefragt. Das passt ins Bild: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wollte auch eine Petition nicht entgegennehmen, mit der sich tausende Unterzeichner für eine Gesetzesänderung im Strafrecht aussprachen. Hintergrund: Einem mangels Beweise Freigesprochenen ist eine lang zurückliegende Vergewaltigung in Tateinheit mit Mord mittlerweile aufgrund neuer kriminalistischer Methoden zweifelsfrei nachgewiesen – doch einmal freigesprochen, kann der Täter nie mehr deswegen angeklagt werden. Andere Länder, z.B. Österreich, sehen in solchen Fällen längst eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Rechtssicherheit für Angeklagte vor. Doch Heiko Maas interessieren die Standpunkte und Vorschläge Betroffener offenbar nicht.