VON MAXIMILIAN REICHLIN | 19.09.2016 12:58

Warum Männer in unserer Gesellschaft keine Rolle mehr spielen

Manchmal fühle ich mich meiner Männlichkeit beraubt. Vor allem wenn ich mich gezwungen sehe, meine Freundin um Erlaubnis zu fragen, wenn ich mit meinen Kumpels einen drauf machen will. Dann denke ich über den Tod des Patriarchats nach, und darüber, ob es für uns Männer überhaupt noch eine Möglichkeit gibt, unsere Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Die traurige Wahrheit: Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht sollten wir einfach darauf pfeifen.

Vor ein paar Wochen rief ein alter Kumpel mich schon sehr früh an und eröffnete mir, dass er für die Arbeit über das Wochenende nach Freiburg fahren müsse. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ihn zu begleiten. Ein richtiges Männerwochenende. Roadtrip mit Oldschool Rock, die Stadt unsicher machen, am Abend ins Irish Pub. Männerkram halt. Die Firma bezahle alles, nur ums Bier müssten wir uns selbst kümmern. Da ich nichts zu tun hatte, hatte ich große Lust, zuzusagen. Doch bevor ich das tat, rief ich meine Freundin an, um sie um Erlaubnis zu fragen. Erst nachdem ich von ihr das O.K. bekommen und an meinen Kumpel weitergeleitet hatte, wurde mir mit einem kleinen Schrecken bewusst, was ich da gerade gemacht hatte.

Liebe Frauen. Ihr könnt euch vielleicht nicht vorstellen, warum diese Szene mich im Nachhinein ein wenig nachdenklich gemacht hat, daher erlaubt mir, es euch zu erklären: Mein Vater erzählt mir immer gerne von der „guten alten Zeit“, in der eine Frau froh sein konnte, wenn ihr Angebeteter überhaupt Bescheid gesagt hat, wenn er für das Wochenende auf einen Männertrip verschwindet. Und wenn er das getan hätte, hätte er es wahrscheinlich von der Autobahn aus getan, oder erst am nächsten Morgen. Denn damals war „die Welt noch in Ordnung“, ein Mann war frei, zu tun und zu lassen, was ihm beliebt. Das Patriarchat, die männliche Herrschaft, hatte noch Bestand.

Wie der Feminismus das Patriarchat vernichtet hat

Heute, da sind sich die meisten Experten einig, ist das Patriarchat so gut wie tot, zumindest in Deutschland. Im Zuge der Feminismus-Debatte haben Frauen in den vergangenen Jahrzehnten dafür gekämpft, ihre traditionelle gesellschaftliche Rolle abzustreifen und ebenso behandelt zu werden, wie die Männer. Sie machten Karriere. Sie machten Sport. Sie entschieden sich für einen alternativen Lebensstil fernab vom Kinderhüten, Essen kochen und Strümpfe stopfen. Sie eroberten Sphären, die zuvor eigentlich ganz dem Männlichen angehörten. Und das ist, wie ich betonen möchte, absolut und völlig legitim. Meine sehr verehrten Damen, ich ziehe meinen Hut vor euch. Ihr habt gezeigt, dass ihr alles könnt. Und dass ihr vieles sogar besser könnt, als wir.

Doch die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass wir dabei mehrere Generationen von verunsicherten und verwirrten Männern geschaffen haben. Die ihre Rolle und Funktion nicht mehr kennen. Die sich entmachtet und kastriert fühlen und so, als würden sie nicht mehr gebraucht. Es scheint so, als hätten Frauen sich in ihrer neuen Rolle sehr viel besser zurechtgefunden, als wir. Wieder eine Sache, die ihr besser könnt. Wobei, gibt es das eigentlich noch, eine „Rolle“ für den Mann? Hat uns die feministische Bewegung nicht eindrucksvoll vor Augen geführt, dass wir ersetzbar sind?

Werte und Wertewandel – Gesellschaft und Mensch im Fluss

Männer verlieren ihre Identität – Versorger und Beschützer? Fehlanzeige!

Vor einigen Jahrzehnten waren die Rollen noch klar geregelt. Der Mann ging arbeiten, die Frau kümmerte sich um das Häusliche. Wenn Frauen angegriffen wurden, sprangen Männer als Beschützer ein und retteten den Tag. Heute gehen die Frauen arbeiten, bringen das Essen auf den Tisch, machen Krav Maga und könnten mir Hänfling wahrscheinlich bei Bedarf die Knochen brechen. Versorger und Beschützer? Fehlanzeige. Immerhin, so schreibt Adam Soboczynski in der ZEIT, sei die „Beschützerfigur“ mittlerweile auch eine „lächerliche“, ein „Affront gegen die Gleichberechtigung“. Die Frauen zu beschützen, das entspreche nicht mehr seiner „zeitgemäßen Rolle“.

Wodurch immer noch nicht geklärt ist, worin diese Rolle eigentlich besteht. Und ob sie noch existiert. Es scheint hierzulande drei grundlegende Typen von Männern zu geben: Den Traditionellen, der die Machtübernahme der Frau zu ignorieren versucht, indem er sich eines der wenigen Mädels schnappt, die noch das alte Rollenbild der Hausfrau erfüllen. Den Veränderungsbereiten, der nach außen hin froh darüber ist, dass seine Frau mit anpackt, sich aber insgeheim so fühlt, als stünde er unter'm Pantoffel. Und den Resignierten, der sich der Frau einfach ungefragt fügt (wohlgemerkt, das sind keine überspitzten Beobachtungen meinerseits, sondern das Ergebnis der wissenschaftlichen Arbeit des Psychologen Jens Lönneker aus dem Jahr 2015).

Flee or fight? Wie wir unsere Männlichkeit verteidigen

Was an all diesen neuen männlichen „Rollen“ auffällt, ist: Sie sind alle passiv. Und das ist zunächst einmal nicht das Schlimmste, was uns Männern passieren kann. Denn wenn wir ehrlich sind, gibt es ansonsten doch nur drei mögliche Optionen für uns. Erstens: Wir kämpfen dafür, das Patriarchat zurückzuholen. Das aber ist ein Kampf auf verlorenem Posten (und in Zeiten, in denen Frauen Krav Maga beherrschen, auch noch höchst gefährlich). Zweitens: Wir schlagen die Frauen mit ihren eigenen Waffe, gründen eine Männerbewegung und fordern die Gleichberechtigung für den Mann. Hashtag Maskulismus. Dann aber geraten wir in die Gefahr, als jammernde Weicheier verlacht zu werden, was unserer Männerrolle wohl kaum zuträglich wäre.

Die dritte Möglichkeit: Wir wenden Gewalt an. Und an diesem Punkt wird es wirklich haarig und problematisch. Diverse Autoren haben bereits zu diesem Thema geschrieben und die traurige These aufgestellt, dass die körperliche, verbale und seelische Gewalt offenbar der letzte Rest an „Männlichkeit“ ist, den unser Geschlecht durch den Feminismus retten konnte. Vergewaltiger, Gewalttäter und Räuber sind in der Regel männlich. Männer treten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit aggressiver am Arbeitsplatz auf. Männer geraten beim Autofahren schneller in Rage. Irgendetwas in unserer Geschlechterrolle scheint auf Wut und Gewalt geeicht zu sein. Und in einer Zeit, in der wir uns immer öfter in unserer Männlichkeit eingeschränkt fühlen, bricht diese dunkle Seite auch immer öfter aus uns hervor – nicht unsere beste Seite, Jungs.

Wir brauchen keine Männerrolle, sondern Männer ohne Rollen

Wozu uns diese ganzen Überlegungen schließlich führen? Möglicherweise zu dem wunderschönen Satz des Guardian-Kolumnisten Zach Stafford: „Manhood isn't in crisis; it is the crisis.“ Vielleicht sollten wir einfach aufhören, nach einer neuen Rolle für uns zu suchen, ja vielleicht sollten wir das Rollendenken ganz einfach aufgeben. Immerhin, das hier ist das wahre Leben, kein Theaterstück. Wir müssen keinen Part spielen, müssen kein Haus bauen und keinen Baum pflanzen. Wir müssen dem Drang, unserem Gegenüber die Faust bis zur Schulter ins Gesicht zu stopfen, nicht nachgeben. Und nein, wir müssen auch unsere Freundinnen nicht um Erlaubnis fragen, wenn wir übers Wochenende wegfahren wollen. Wir müssen uns aber auch nicht rechtfertigen, wenn wir es tun. Wir müssen verdammt nochmal gar nichts! Weil wir Männer sind.