VON SINEM S. | 08.01.2013 18:11

Entwicklungshilfe

Die Union und FDP kürzten jüngst Entwicklungsminister Niebel den Etat für die Entwicklungspolitik. Dabei sollte das eigentliche Milleniumsziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukt für humanitäre Hilfen zur Verfügung zu stellen, bis 2015 gesichert werden. Nun wird das Etat zum ersten Mal seit Angela Merkels Amtsantritt sinken - um 125 Millionen. Grünen-Entwicklungspolitiker Thilo Hoppe bekräftigte, dass dies das falsche Signal sei, und das entwicklungspolitische Ansehen Deutschlands schwäche. Deutschland laufe Gefahr zum schlechten Vorbild für weitere Industrienationen zu werden, und seine Zusagen zur Entwicklungsfinanzierung nicht mehr einzuhalten.

Die Bundesregierung kürzt die Entwicklungshilfe, sein Beitrag zur Verbesserung der Lage der Welt und zur Bekämpfung von Hunger und Armut sinkt. Sind wir deshalb kaltherzig und schuld an immer größeren Hungerkatastrophen? Oder wird es vielleicht einmal Zeit, Sinn und Irrsinn der sogenannten Entwicklungshilfe zu hinterfragen, die ja allein in ihrem Wortlaut unterstreicht, dass da jemand ist, der sich anscheinend selbst nicht mehr oder (noch nicht?) helfen kann, und dem reiche Industrienationen unter die Arme greifen müssen. Das tun sie, seit mehreren Jahrzehnten, Billionen von Dollar flossen nach Afrika, doch wirklich geändert hat sich nichts auf dem problematischen Kontinent. Immer noch sterben jährlich Millionen von Menschen an Hunger und Krankheiten, die wir hierzulande nur noch aus der Bibel kennen. Weltweit überschlagen sich Prominente geradezu an Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft, um dem „sinnlosen Sterben“ endlich ein Ende zu setzen. Gwyneth Paltrow und David Bowie lassen sich mit traditioneller Kriegsbemalung geschmückt für die Medien in Szene setzen, um zu bekräftigen, dass sie ihren prominenten Status nutzen werden, um zu helfen. Madonna rief nach der umstrittenen Adoption ihres malawischen Sohnes eine Stiftung ins Leben, die sich „Raising Malawi“ nennt, und einen bitteren Beigeschmack bei all denjenigen hinterlässt, die schon längst begriffen haben, dass Entwicklungspolitik etwas Gleichberechtigtes, Partnerschaftliches haben sollte, und das Kolonialisieren des gebeutelten Kontinents endlich ein Ende. Es gibt verschiedene Ansätze, die von sich glauben machen wollen, Afrika endlich aus seinem Underdog-Status herausholen zu können.

Mehr Geld bis 2015, und die Armut ist 2025 aus der Welt geschafft!

Land Grabbing

Professor Jeffrey D. Sachs, 52 Jahre alt, Freund von Kofi Annan und den Clintons, glaubt die rettende Formel gefunden zu haben. Er ist US-Ökonom und seit 2002 Berater der Millenium Development Goals. Sachs fordert unter anderem einen großzügigen Schuldenerlass für die ärmsten Regionen der Welt und fordert die reichen Industrienationen auf, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für entwicklungspolitische Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Seiner Meinung nach bedarf es einer „klinischen Analyse“ der betreffenden Länder, die individuell sein sollte und einfache Problemlösungsvorschläge verwirft. Dieser „Top-Down“-Ansatz sei immer noch der Kolonialzeit geschuldet, so Sachs Gegner William Easterly, der darauf beruhe, dass sich die mächtigsten Kolonialherrscher zusammensetzten und Pläne für die von ihnen besetzten Länder entwarfen, an die sie sich noch heute klammerten. Jeffrey D. Sachs, dessen Buch „Das Ende der Armut“ aufzeigen will, was es genau benötigt, um zu helfen, bleibt unbeirrbar. Wenn es nach ihm ginge, sollte der IWF das Budget eher noch erhöhen, als es zu kürzen. Dünger, Saatgut, Bewässerung, effektive Gesundheitsvorsorge, all dies benötige Geld und noch mehr Geld. Dass dies Imperialismus in Almosenform ist, das ist Sachs vielleicht nicht ganz klar. Denn es gibt Länder, die sich auch ohne Milliardenzahlungen aus eigener Kraft wieder aufgebaut haben, ob Vietnam, China oder Botswana. Sie alle nutzten den Markt als Motor für ihr Wirtschaftswachstum.

No-Aid!

Derzeit sorgt eine Afrikanerin selbst für Furore: Dambisa Moyo, von der Time zu einer der 100 einflussreichsten Personen gewählt, Akademikerin und Bankerin, weiß, worauf es ankommt. Sie findet, dass Entwicklungshilfe nur mehr zerstört, als dass es wirklich hilft, Korruption und Armut würden dadurch nur gefördert werden. In ihrem Buch „Dead Aid“ vertritt sie genau diese These: Schluss mit der Entwicklungshilfe, mehr Hilfe zur Selbsthilfe! Dabei schließt sie nicht aus, dass humanitäre Hilfen, wie sie dringend nach Umweltkatastrophen gebraucht werden, weiterhin und auch zurecht fließen sollten, auch karitative Hilfen, wie Organisationen, die vor Ort wirksame Unterstützung leisten, seien wichtig. Doch die systematische Hilfe der anderen Länder, ständige und unkontrollierte Finanzspritzen, schürten das Problem der Armut und Korruption, weil das Geld versickere und zu wenig Nachforschungen angestellt würden, was mit dem Geld geschehe. Sie wirft dem Westen vor, dass dieser darauf beharre, Hilfe jeglicher Art sei immer gut. 50 Jahre nach der Befreiung Afrikas und nach mehr als zwei Billionen Dollar Entwicklungshilfe stehe Afrika schlechter da als je zuvor. Ebenso stark kritisiert Moyo das System des gutgemeinten „glamour aid“, Prominente, die sich zu Sprechern ganzer Länder aufschwängen und alle Aufmerksamkeit auf sich lenkten, wobei die wahren Regierungssprecher gar nicht zu Wort kämen. Der Sänger Bono wird zu G8 und anderen Gipfeln eingeladen, doch was habe er mit Afrika wirklich zu tun? In ihrem Buch zeigt sie, wie verheerend die Ausmaße des „glamour aid“ sein können: Bono initiierte die Spende von tausenden Moskitonetzen, die Schutz gegen die tödlichen Stiche der Malariamücke bieten sollten. Doch dass es bereits einen Moskitonetzhersteller in der Region gab, der 150 Angestellte unterhielt, das recherchierte Bono in seinem Übereifer nicht. Durch die milde Gabe des Westens ging der Hersteller pleite, und mit ihm ganze Familien.

Afrika ist ein reiches Land

Diamanten, Chrom, Mangan, Gold, Kobald, Kupfer, Erdgas und Öl, Kaffee, Kakao, Palmöl – all das hat Afrika zu bieten. Die reichen Länder müssten ihre Märkte nur öffnen, dann könnten Entwicklungsländer jährlich rund 700 Milliarden Dollar einnehmen. Uganda und die Elfenbeinküste bekamen zwischen 1980 und 2000 insgesamt 26 „Strukturanpassungsdarlehen“ von der Weltbank und dem IWF- das Pro-Kopf-Einkommen ist seitdem gesunken. Korruption stoppt jegliche Eigeninitiative, wozu sich als Regierung die Mühe machen, mühsam Reformen durchzubringen, wenn das Geld sowieso fließt und wahrscheinlich in den eigenen Taschen landet? Es ist Zeit für ein Umdenken, lange genug ist der imperialistische Plan des Westens nicht aufgegangen. Aber sich selbst eingestehen zu müssen, dass die eigene Hilfe nicht ankam und vielleicht auch gar nicht erwünscht ist, dass fällt dem Menschen schwer. Wenn man bedenkt, wie schwer es dem Westen fällt, China als aufstrebende Weltmacht zu akzeptieren, ist dies auch kein Wunder. Es ist leichter, jährlich seine Spendenaufrufe und –galen zu organisieren und sich ob der schrecklichen Hungerkatastrophen heimlich zu bekreuzigen, dass es einem ja so gutgeht. Vielleicht lässt es uns besser fühlen, wie so mancher seinen Angehörigen Patenschaften für Kinder in Afrika neben die neuen Nike-Schuhe unter den Weihnachtsbaum zu legen. Aber wie wäre es tatsächlich, einem gleich starken Afrika partnerschaftlich gegenüber stehen und ihn vielleicht sogar ernst nehmen zu müssen? Zu akzeptieren, dass die Zeit reif ist, seine „Patenschaft“ für Afrika aufzugeben und den Kontinent in eine neue, selbstbestimmte Zukunft zu entlassen, indem es für sich selbst sorgt, und von sich selbst behaupten kann, es habe es eigener Kraft geschafft? Deutschland stand auch einmal vor einem riesigen Trümmerhaufen, gottseidank wurde es aber relativ schnell wieder in die Selbständigkeit entlassen und zum Wirtschaftswunderland. Das gleiche schulden wir nun Afrika.