VON CHARLOTTE MEYER | 03.08.2015 16:10

Meutert die Lernfabriken – ein neuer Bildungsprotest formiert sich

Seit Mai 2015 existiert die Bewegung „Lernfabriken ...meutern!“. Sie knüpft an frühere Bildungsproteste an und fordert eine grundlegende Strukturveränderung von Bildung in Deutschland. Sie wendet sich gegen Leistungsdruck, Wettbewerbsdenken und undemokratische Verhältnisse an Universitäten, Ausbildungsstätten, Schulen und Erziehungseinrichtungen. Das Protestbündnis will sich dabei breiter aufstellen als die Bewegungen der letzten Jahre. UNI.DE liefert Details.



Ideal: linker, emanzipatorischer Bildungsanspruch

#meutern, das ist der Hashtag des Widerstands gegen den Zustand unseres Bildungssystems. „Lernfabriken meutern“ ist der Name des neuen Bündnisses, das dahinter steckt und sich selbst von früheren Bildungsprotesten abgrenzen möchte. 2009 gab es den bundesweiten Bildungsstreik und 2013 und 2014 hat es ähnliche Proteste gegeben wie zum Beispiel „Bildung braucht…!“ oder #Bildungsstreik14. Das Bündnis „Lernfabriken ...meutern!“ existiert seit Mai 2015, als sich rund 40 Menschen an der Universität Hannover trafen, um sich bundesweit für den Protest zu vernetzen. Die generelle Kritik der Bündnisteilnehmer richtet sich gegen die Trimmung auf Leistung und die kapitalistische Verwertungslogik deutscher Bildungseinrichtungen. Das Ideal der Meuterer ist dabei ein linker, emanzipatorischer Bildungsanspruch, der individuelles Lernen in der deutschen Bildungslandschaft ermöglichen soll. Noch ist die Gruppierung jung und sucht nach Zielgruppen und Strategien des Protests. Ein Ziel ist allerdings klar: Man möchte nicht alte Bildungsstreiks aufwärmen, sondern eine neue Richtung einschlagen.

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Breiter aufstellen als frühere Proteste

„Lernfabriken ...meutern!“ hat aus den früheren Protesten seine Schlüsse gezogen. Diese sind demnach deswegen gescheitert, weil sich die Studierendenschaft zunehmend entpolitisiert habe und die Kommunikation und Kooperation der Proteste mangelhaft war. Für ersteres machen die Bündnisteilnehmer vor allem die Bologna-Reform verantwortlich - Hochschulpolitisches Engagement und Kritik an den vermittelten Inhalten waren schon deshalb nicht möglich, weil durch die straffe Studienstruktur kein Raum mehr für Reflexion über das Bildungssystem, in dem man steckt, bleibt. Motivation zur Kooperation über die Hochschulen hinaus und zur gesamtgesellschaftlichen Aktion waren zwar vorhanden, aber die Forderungen der Protestbündnisse blieben zu sehr auf die Hochschulen fixiert und machten so Kooperation mit anderen Bildungseinrichtungen wie etwa Schulen oder Kindergärten nicht möglich. „Lernfabriken ...meutern!“ will sich nun breiter aufstellen, um mit seinen Protesten Wirkung zu erzielen: Aktionen zu Asylpolitik, gegen Rassismus und mit Schülerinnen und Schülern sind in der Planung. Auch von der Dynamik der vergangenen Streiks in den Kitas möchte das Protestbündnis profitieren und unzufriedene Erzieher für sich gewinnen. Die Bewegung hat sich zum Ziel gesetzt, an der Basis zu arbeiten und Probleme wie Kürzungen und schlechte Ausbildungsbedingungen direkt dort zu bemängeln, wo sie auftreten. Durch kleine Aktionen soll Aufmerksamkeit erregt werden und nicht durch abstrakte, makropolitische Parolen.

Gegen die Instrumentalisierung von Bildung

Im Juni fanden zuletzt dezentrale, länderübergreifende Veranstaltungen der Bewegung statt. So gab es um den 17. Juni in Lüneburg und Marburg Tanzdemos, einen Aktionstag in Wien und Demonstrationen in Berlin und Potsdam, in Koblenz und Regensburg. Diese Aktionen hatten nur ein Ziel: die „Lernfabriken“ abzuschaffen. Allein in diesem Wort steckt bereits die Anklage der Proteste: Die Bildungseinrichtungen sind zur Fabrik verkommen, das heißt, sie müssen eine Ware nach Maß für den Markt produzieren. Für die Bewegung bedeutet das in der Realität: Leistungsdruck in den Schulen und Hochschulen, Einflussnahme von Unternehmen auf die Bildung und letztendlich Erzeugung von Humankapital für den Arbeitsmarkt durch die Bildungsinstitutionen. Dementsprechend müssen Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende nur lernen, was der Arbeitsmarkt erfordert und werden nicht zu mündigen Menschen ausgebildet, die sich kritisch mit der Welt auseinandersetzen. Als Ziellösung sieht das Bündnis ein anderes Bildungssystem, das demokratisch und solidarisch ist und in dem alle Menschen Zugang zu Bildung haben. Das heißt, keine Benachteiligung mehr von Frauen in der Wissenschaft, Chancengleichheit für Nicht-Akademiker-Kinder und Flüchtlinge und mehr Studienhilfe für finanziell Benachteiligte. Da solche Veränderungen nicht nur isoliert in Bildungseinrichtungen stattfinden können und einen fundamentalen Wertewandel bedeuten, zieht „Lernfabriken ...meutern!“ eine gesamte Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Betracht. Damit diese eintreten kann, bedarf es wohl einer umfassenden Revolution, aber auch kleine Veränderungen sind erreichbar wenn man sich engagiert.