VON DAVID SEITZ | 08.05.2012 10:01

Machtdistanz: Warum sich manche Menschen eher unterwerfen als andere

Mit ungleicher Machtverteilung muss sich jede Gesellschaft der Welt auseinandersetzen. Der konkrete Umgang mit Macht unterscheidet sich dabei von Land zu Land. Während sich der König in Schweden beim Einkaufen an der Schlange vermutlich ganz hinten anstellen würde, genießen mächtige Menschen in arabischen Ländern oft opulente Privilegien. Bereits vor etwa 30 Jahren hat ein holländischer Sozialpsychologe die landesspezifischen Ausdeutungen von Macht in einer riesigen Studie analysiert und nach ihrer sogenannten "Machtdistanz" angeordnet.

Ursprünglich wollte Geert Hofstede die Unternehmenskultur des Mega-Konzerns IBM erforschen, dazu befragte er Arbeiter in verschiedensten Filialen auf der ganzen Welt. Doch schnell stellte er fest, dass nicht die Unternehmenskultur, sondern landesspezifische Charakteristika ein viel aussagekräftigeres Ergebnis lieferten. So modelte Hofstede die Studie um und erschuf eine der umfangreichsten Untersuchungen zur Abgrenzung einzelner Landeskulturen. Eine der Kategorien, in denen er die Kulturen der Länder verglich war dabei "Machtdistanz" - ihm zufolge "die Art und Weise, wie die Gesellschaft mit Ungleichheit umgeht."

Ungleichheit als globale Herausforderung

Ungleichheit ist seiner Meinung nach ein Grundmuster, das sich durch alle Gesellschaften und alle Zeiten zog. Bereits unter Jägern und Sammlern – so Hofstede - gab es diejenigen, die stärker und tüchtiger waren und letztendlich das größere Stück Fleisch essen durften. Heute korrelliert Macht meist mit Faktoren wie Geschlecht, Wohlstand und Alter. Einige Gesellschaften sind bestrebt, diese Ungleichheit auszugleichen, andere halten sie für förderlich. Der Begriff "Machtdistanz" selbst, geht auf den Sozialpsychologen Mauk Multer zurück, der ihn noch präziser definiert: "Die Distanz, die zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten herrscht."

Macht – nicht nur eine Fähigkeit

116.000 Menschen aus 53 Ländern – alle Teil des IBM Konzerns – nahmen an der Studie Teil, die Hofstede mit Hilfe von Fragebögen durchführte. Durch präzise Fragen mit vorgegebenen Antworten entlockte Hofstede den Probanden der Studie Aussagen, die Rückschlüsse auf deren Sicht auf Macht und Ungleichheit zuließen. Eine Gruppe sprach sich beispielsweise indirekt dafür aus, dass auch normale Mitarbeiter in wichtige Entscheidungen der Chefetage miteingebunden werden, eine andere befürwortete konkrete Ansagen von oben. Hofstede ordenete jeder Antwort einen Punktwert zu und konnte so nach Ende der Erhebung große Tabellen anlegen, mit denen sich - seiner Meinung nach – verschiedene Kulturen im Bezug auf bestimmte Kategorien unterscheiden ließen.

Gehorsam oder Gleichheit?

Der Kategorie Machtdistanz zufolge hat Malaysia, zusammen mit der Slowakai, den höchsten Punktwert für Machtdistanz. Das heißt, dort wird Ungleichheit am ehesten akzeptiert. Den niedrigsten Punktwert weißt Österreich, vor Israel auf – Ungleichheit gilt hier als unerwünscht. Deutschland weißt ebenfalls einen recht niedrigen Wert für Machtdistanz auf, das Land liegt in Hofstedes Tabelle auf Höhe von Großbrittanien und Costa Rica. Mit Beispielen aus allen Lebensbereichen unterfütterte Hofstede seine Erkenntnisse. So behandeln Eltern in Ländern mit hoher Machtdistanz ihre Kinder eher von oben herab und erziehen sie zu strengem Gehorsam, in Ländern mit niedriger Machtdistanz behalndeln Eltern ihre Kinder wie Ihresgleichen. Menschen in Ländern mit hoher Machtdistanz zeigen Statussymbole eher als Menschen in Ländern mit niedriger.

Wissenschaftler, die mit diesen sehr konkreten Aussagen von Hofstede arbeiten, müssen sich jedoch immer vor Augen führen, dass die Tabelle keine fixen Werte darstellt, sondern nur eine Vergleichsbasis bietet. Die zugewiesenen Punktwerte erhalten erst im Vergleich zu anderen Ländern ihren Sinn. Kulturwissenschatler tun sich oft schwer, konkrete Aussagen wie Punktwerte über Landeskulturen zu treffen. Hofstedes Stude hilft zwar einen Vergleich zwischen einzelnen Ländern und ihren Kulturen herzustellen, wurde aber von vielen Seiten kritisiert. Einerseits bezog er seine Studienteilnehmer allesamt aus einem einzigen Forschungsfeld, was einer räpresentativen Aussage letztendlich entgegensteht. Zudem zieht er so scharfe Trennlinien zwischen den einzelnen Ländern, wie sie im Zeitalter von Globalisierung und Massenmigration eigentlich nicht mehr haltbar sind.