VON LISI WASMER | 05.05.2014 20:38

Ein Shirt, ein Menschenleben: Der Preis günstiger Kleidung

Kleider machen Leute. Sie können kaschieren oder Vorzüge betonen, können Ausdruck unserer Persönlichkeit sein oder einfach nur Wohlfühlfaktor. Über 100 Euro gibt jeder deutsche Haushalt im Durchschnitt pro Monat für Kleidung aus. Dabei kosten einzelne Shirts oder Hosen in vielen Geschäften oft nur ein paar Euro. Dass damit eine angemessene Bezahlung der Beschäftigten in der Produktion dieser Güter unmöglich ist, scheint offensichtlich. In den Zulieferfabriken sind die Löhne niedrig, die Überstunden zahllos und die Bedingungen miserabel. Warum die Modeketten das dulden und was die Konsumenten dagegen unternehmen können.

Ein Schimpanse im Businessoutfit, dazu eine pinke Sonnenbrille. Das ist der Trigema-Affe, der im Fernsehen für Kleidung Made in Germany wirbt. Und zwar ausschließlich Made in Germany, denn Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp ist einer von ganz wenigen Geschäftsführern in der Textilindustrie, der den Herstellungsprozess seiner Kleidung nicht ins Ausland ausgelagert hat. Er wird gerne als Vorzeigebeispiel angebracht, denn sein Unternehmen macht faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie mit wirtschaftlichem Erfolg vereinbar – eine Lektion, die zu lernen sich viele Unternehmen bis heute weigern: Immer wieder gibt es Schlagzeilen über die skandalträchtigen Zustände in den für westliche Textilfirmen produzierenden Fabriken in Billiglohnländern. Trauriges Paradebeispiel ist Bangladesch, wo beim Einsturz eines Fabrikgebäudes im vergangenen Jahr rund 1.100 Arbeiter ums Leben kamen.

Schattenseiten der Baumwolle

Günstige Kleidung wird teuer bezahlt

Warum mussten diese Menschen sterben? Eine umfassende Antwort auf diese Frage ist schwierig zu formulieren, denn die ausschlaggebenden Faktoren sind vielfältig, wie ein Aufklärungsvideo der „Fair Wear Foundation“ eindrücklich vermittelt: Westliche Firmen lassen ihre Ware in Billiglohnländern produzieren, steigen in unüberschaubare Handelsketten von Stofflieferanten und Färbereien über Logistikunternehmen bis hin zu Nähfabriken ein. Die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards in allen Gliedern dieser Kette kann nicht mehr gewährleistet werden, weil die Firmen am Ende der Produktionslinie gar nicht mehr wissen, welche Zwischenhändler an dieser genau beteiligt waren. Die Verantwortung wälzen sie auf die örtliche Politik ab, gleichzeitig setzen sie ihre direkten Kooperationspartner, die Nähereien, unter Druck, noch schneller und noch günstiger zur produzieren. Kinderarbeit, Hungerlöhne und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen sind der Preis für ein paar Euro, die das T-Shirt bei H&M, KIK oder etwa C&A weniger kostet. Ein Beispiel: An einem T-Shirt für 29 Euro verdient der Händler 3,61 Euro. Die Arbeiter in der Produktion bekommen gerade einmal 18 Cent.

In Bangladesch zahlten beim Fabrikeinsturz im vergangenen Jahr über 1.000 Menschen den Preis für günstige Kleidung mit ihrem Leben. Der einzige positive Effekt war, dass der Vorfall die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Missstände in der Textilindustrie lenkte. Für die sind im Übrigen nicht nur Mode-Discounter verantwortlich. Auch hochpreisige Marken wie Boss oder Ralph Lauren lassen in Bangladesch produzieren: Das „Abendblatt“ schreibt von mindestens 28 westlichen Firmen, die in der eingestürzten Fabrik Kleidung herstellen ließen. Viele davon übernehmen keine Verantwortung für die dortigen Zustände. Die häufigste Ausrede: Gerechte Löhne und Arbeitssicherheit seien Sache der Regierung. In den Fonds, der als Reaktion auf den öffentlichen Druck für Verletzte und Hinterbliebene eingerichtet wurde, sei bisher nur ein Bruchteil der ursprünglich angesetzten 40 Millionen US-Dollar eingezahlt worden, heißt es im „Abendblatt“ weiter.

Deutsche Politik setzt auf Freiwilligkeit

Die Ausbeutung in der Textilbranche ist beispielhaft für das Phänomen der mittelbaren Betroffenheit: Jeder Konsument trägt durch sein Kaufverhalten indirekt zu Menschenrechtsverletzungen bei, aber keiner fühlt sich dafür verantwortlich, wenn Arbeiterinnen teilweise 100 Stunden in der Woche für gerade einmal 30 Euro im Monat an der Nähmaschine verbringen. Sie verrichte Arbeit für zwei, habe keine Pausen, könne nicht einmal zur Toilette gehen, schildert eine 19-jährige Näherin in einer Reportage der ARD-Sendung „Monitor“ von 2012. In dem Beitrag wird aber auch von einem Vorschlag der Europäischen Kommission berichtet, die bis dahin nur auf Freiwilligenbasis durchgeführten Kontrollen der Fabriken für die Unternehmen zur Verpflichtung zu machen. Die Crux: Ausgerechnet Deutschland stellt sich quer. Der damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fällt es bei einer Pressekonferenz sichtlich schwer, dies gegenüber den ARD-Journalisten zu begründen.

Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen, inzwischen ist in Bangladesch ein Fabrikgebäude eingestürzt, inzwischen hat sich der öffentliche Druck auf Politik und Textilbranche verstärkt. Zahlreiche Stiftungen und Netzwerke wie die „Fair Wear Foundation“ oder die „Kampagne für saubere Kleidung“ informieren online über Missstände und setzen sich für die Verbesserung der Arbeitssituation in Produktionsbetrieben ein, Preisausschreiben wie der „Chemnitzer Millennium Award“ fördern Filmprojekte zur Aufklärungsarbeit hinsichtlich der Textilindustrie – es kommt Bewegung ins Spiel. Erst Anfang April diesen Jahres kündigte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CDU) gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“ die Einführung eines Textilsiegels an, das Unternehmen zur Einhaltung ökologischer und sozialer Mindeststandards bewegen soll, wie unter anderem „Spiegel Online“ berichtet. Ein Schritt in die richtige Richtung, das finden auch die Mitarbeiter der „Kampagne für saubere Kleidung“. Allerdings: Wieder geht es um freiwillige Auflagen, gesetzliche Regelungen sind nicht vorgesehen, bemängelt die Opposition.

Verbraucher in der Pflicht

Wenn sich die Gesetzgebung aber nicht ausreichend für die Durchsetzung menschenwürdiger Produktionsbedingungen einsetzt und die Textilbranche auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards verzichtet – sei es aus Profitgier oder aus Unfähigkeit, unübersichtliche Lieferketten nachzuvollziehen – fällt die Verantwortung, etwas gegen die Ausbeutung von Näherinnen in Produktionsfabriken zu unternehmen, zurück an den Verbraucher. Denn das Konsumverhalten der Endabnehmer bestimmt das Produktionsverhalten der Anbieter. Wer immer nur noch ein paar Euro mehr sparen möchte, muss sich dessen bewusst sein, dass die Differenz nicht von den Händlern ausgeglichen wird. Die Differenz zahlen die Arbeiter und Arbeiterinnen in Fabriken wie in Bangladesch.