VON SINEM S. | 04.10.2012 16:37

Anerzogene Religion – Ja oder nein?

Eltern sehen sich immer mehr vor eine Vielzahl von Entscheidungen und Fragen gestellt. In welchen Kindergarten oder auf welche Schule soll ich mein Kind schicken? Soll ich es auch mit Fleisch ernähren oder nur vegetarisch? Lasse ich es taufen? Gerade das Thema der Religionszugehörigkeit betrifft nicht nur die Entscheidung, ob Ethik- oder Religionsunterricht richtig für den Nachwuchs ist.

Heutzutage können Eltern eher wählen, wenn es darum geht, grundlegende Entscheidungen bezüglich ihrer Kinder zu treffen. Wo früher noch starre gesellschaftliche Zwänge die Wahlmöglichkeiten auf ein Minimum beschränkten, bieten heute zahlreiche Elternratgeber verschiedene Strategien, um dem Sprössling einen guten Einstieg ins Leben zu bieten.

Hierbei taucht auch immer wieder die Frage nach der Religionszugehörigkeit der Eltern auf und wie damit umzugehen sei. Ist es angemessen, sein Kind gemäß seinen Überzeugungen zu erziehen oder sollte man es unbehelligt vom eigenen Glauben lassen und damit möglichst zur eigenen Entscheidungsfindung befähigen und seinen eigenen Weg finden lassen? Oder eignet sich vielleicht ein Mittelweg am besten, wie ihn Serap, eine gläubige Muslimin von ihrem Vater erfuhr? Nachdem er sie im muslimischen Glauben aufgezogen hatte, überließ er ihr eines Tages die Wahl, ob sie den Islam nun auch praktizieren wolle oder nicht. Sie entschied sich für den Glauben und das Kopftuch. Ähnlich entschied sich Alexander Nachama, der seinem Großvater, welcher jüdischer Kantor war, nacheiferte und sich ein Leben außerhalb der Familientradition nicht vorstellen konnte.

Religion bietet nicht immer Stabilität

Persönlichkeit – was macht uns so einzigartig?

Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele für Leute, denen der anerzogene Glaube massives Leid zugefügt hat. Ein berühmtes Beispiel bietet bereits der autobiographische Roman „Portrait des Künstlers als junger Mann“ von James Joyce, in dem der Protagonist Stephen Dedalus von den Ängsten und Befangenheiten berichtet, die seine jesuitische Ausbildung bei ihm bewirkt. Eine zeitgenössische und drastischere Darstellung desselben Konfliktes findet sich in dem Roman „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ aus dem Jahre 2011. Hierin beschreibt der Autor Andreas Altmann eindringlich und nachhaltig, wie sehr ein fanatischer Glaube eine ganze Kindheit zerstören kann. Das Buch ist die Aufarbeitung eines Lebens, das immer wieder scheiterte und sich neu erfinden musste, um sich nicht ganz der Angst und der Kontrolle des aufoktroyierten Glaubens hingeben zu müssen. Dabei ist es gerade die Absurdität der Gewalt und der permanenten Verteufelung von Seiten seiner tiefgläubigen Eltern, die ihn bereits als Kind stark am Thema Religion zweifeln lässt und ihn tief verstört. Altmann fand seinen eigenen Weg aus der dunklen Hölle des Glaubens und bietet ein Gegenbeispiel zu denjenigen, die in ihrer Religion Zuversicht und Halt finden.