VON DAVID SEITZ | 08.10.2012 13:56

Zwischen Recht und Religion: Beschneidung bleibt wohl legal

Darf ein Junge aus religiösen Gründen beschnitten werden? Um diese Frage entbrannte in den vergangenen drei Monaten eine erbitterte Debatte, die auch grundsätzliche Fragen zur Vereinbarkeit von Recht und Religion in Deutschland aufwarf. Nun hat die Regierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der zumindest vorerst die Gemüter besänftigen könnte.

Ein höchst umstrittenes Urteil brachte vor etwa drei Monaten eine Wut-Welle unter in Deutschland lebenden Juden und Muslimen ins Rollen. Der Hintergrund: Im Jahr 2010 wünschten sich die muslimischen Eltern eines vierjährigen Jungen dessen Beschneidung. Nachdem das Kind einige Tage nach dem Eingriff mit starken Blutungen in die Klinik zurückkehrte, erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Arzt. Der Tatbestand: Körperverletzung.

Urteil löst Empörung aus

Ende Juli wurde der Fall vor dem Kölner Landgericht verhandelt, speziell von Juden und Muslimen mit Spannung und Besorgnis erwartet. Die Richter entschieden, dass die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen strafbar sei und der behandelnde Arzt dabei Körperverletzung begehe. Es war ein Urteil, das aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft absolut vertretbar schien - für Juden und Muslime jedoch war es ein Schock. Der Zentralrat der Juden und andere große Institutionen meldeten sich zu Wort und drückten ihre Unverständnis für das Urteil teils sehr drastisch aus.

Anerzogene Religion – Ja oder nein?

Der Weltdachverband des liberalen Judentums bezeichnete das Urteil als „Affront gegenüber der Freiheit des Menschen“. Mitglieder jüdischer und muslimischer Gemeinden in Deutschland machten deutlich, wie schwer sie die Entscheidung des Kölner Landgerichts traf. Die Rechtsprechung brachte eine Diskussion in Gang, die tiefer schürfte als die ursprüngliche Ausgangsfrage – die Frage nach der Legalität von religiösen Beschneidungen: Das deutsche Recht auf körperliche Unversehrtheit, verankert im deutschen Grundgesetz, kollidierte mit einer religiösen Praktik, die für die kulturelle und religiöse Identität der betroffenen Religionsgruppen essentiell war und ist. Aufgewachsen in einem grundlegend anderen sozio-kulturellen Umfeld, war die religiös tief verwurzelte Bedeutung der Beschneidung für viele Deutsche jedoch nur schwer nachvollziehbar. Wie also damit umgehen?

Wenn Recht und Religion kollidieren

Fälle aus anderen Ländern zeigen, dass diese Problematik immer wieder auftritt: In Vancouver sowie in London wurde der Glaubensgemeinschaft der Sikh während der Olympischen Spiele das Mitführen eines Dolchs gestattet – trotz strengster Sicherheitsvorkehrungen auf dem Gelände. Der Grund: Für die Sikh ist das Tragen des Dolches eine religiöse Pflicht. Obwohl das Mitführen von Waffen jeglicher Form von Rechts wegen untersagt war, tolerierten die Behörden diese religiöse Praktik im Rahmen der Religionsfreiheit.

Nun scheint sich auch in Deutschland ein Kompromiss anzubahnen, der die kulturelle Identität von Juden und Muslimen unangetastet lassen könnte. Ein neuer Gesetzesentwurf, als Reaktion auf den wachsenden Druck und die drängenden Forderungen nach einer Neubewertung, erlaubt die Beschneidung von Jungen generell, sofern sie „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ durchgeführt wird. Neben einem Facharzt kann auch eine von der Religionsgemeinschaft dazu vorgesehene, besonders ausgebildete Person den Eingriff durchführen – dann muss die Operation jedoch innerhalb der ersten sechs Lebensmonate erfolgen.

Erleichterung und Kritik

Bei Muslimen und Juden löste der Entwurf eine Welle der Erleichterung aus. Man habe die drohende Illegalität der Beschneidung und somit der eigenen Religion abwenden können – so der Tenor in den Gemeinden. Der Kinderschutzbund und die Opposition kritisierten den Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium hingegen scharf: Sie bemängeln das fehlende Mitspracherecht der Jungen bei der Entscheidung über eine Beschneidung an ihrem eigenen Körper.