VON RICHARD KEHL | 11.02.2010 17:46

Moral und Ethik in Video- und Computerspielen

Egal, ob man in der realen Welt Schwarzer Mann, Kaufmann, Arzt, oder Cowboy und Indianer spielt. Auch hier werden Rollen übernommen, Freund- und Feindbilder geschaffen sowie Entscheidungen verlangt. In der virtuellen Realität sind diese nur komplexer.

Das Spielen ist zum Lernen da. Video- und Computerspiele werden immer dreidimensionaler, fotorealistischer, durchdachter und anspruchsvoller. Zu den beliebtesten Computerspielen zählt, in erster Linie, bei weiblichen Spielern, die Sims-Reihe aus dem Hause Electronic Arts.


Sims ist eine Art virtueller Ersatz für das klassische Puppenspiel und ist die Weiterentwicklung des Tamagotchi – einem Anhänger zum Mitnehmen, der ein Küken simuliert hat. Mit Interaktion musste man versuchen das „Tamagotchi“ zu erziehen und am Leben zu halten. Das Computerspiel war in den 90er Jahren der absolute Renner und wurde 2004 neu aufgelegt. Es gibt sogar eigene Friedhöfe für verstorbene Tamagotchi.


Während der Tamagotchi für das Computerspiel Sims als Vorlage diente, wird Sims von „Second Life“ mit seiner Community im Internet kopiert. Die Sims-Reihe zählt zu den meistverkauften Video- und Computerspielen bisher. Der Erfolg des Spieles führte zur Veröffentlichung von insgesamt sieben Teilen, auch AddOn genannt. In Sims gründet man eine virtuelle Familie, kreiert nach eigenen Wünschen Umgebung, schließt Freundschaften, Liebschaften, Beziehungen, geht in die Arbeit, verdient sein Geld, wird geboren und stirbt auch im Alter. Auch ein Gerichtsvollzieher kommt bei Zahlungs-Unfähigkeit in einer Erweiterung zum Einsatz.


Sims

Fallout3

Siedler7

Microsoft Xbox 360

SONY PlayStation 3

Nintendo Wii

Aber auch andere Video- und Computerspiele geben dem Spieler immer mehr Freiraum für ethische und moralische Entscheidungen, welche das Spielgeschehen beeinflussen. Im Rollenspiel des Jahres 2008 Fallout3 übernimmt der Spieler die Rolle eines jungen Mannes, der im Atombunker der 50Jahre gezeugt wurde, als Erwachsener daraus flüchtet und mit der zerstörten Umwelt des Holocaust konfrontiert wird. Das beklemmende, atmosphärische, grafisch prächtige Szenario des Computerspiels sorgt schon für die ersten ethischen Eindrücke; mutierte Lebewesen und unheimliche Geräusche in der Dunkelheit garantieren für Gruselstimmung. Gedanken kommen hier beim Computerspiel zum Tragen: „Was wäre wenn…“ Ähnliche Wirkungen haben auch Filme wie „The Day After“ auf Zuseher. Nur ist man als Spieler „aktiver“ Schauspieler.


Die Entscheidung des Spielers ist für den Fortgang des Computerpiels ausschlaggebend: wer wird Freund, wer Feind; welcher Gruppierung schließt man sich an, geht man lieber rabiat oder im verborgen vor; baue ich meine Fähigkeit als Händler aus oder doch lieber als Dieb; bin ich rhetorisch gewandt und überzeugend oder erreiche ich mein Ziel mit brachialer Gewalt; löse ich die Aufgaben lieber nachts oder tagsüber. Je nach Charakter verteilt der Spieler verschiedene Punkte für die individuelle Charakterfortbildung zur Erfüllung der Ziele im Computerspiel. Nehmen wir ein Beispiel aus dem beliebten Computerspiel Fallout3: Eine nichtdetonierte Atombombe in einer Siedlung soll zur Detonation gebracht werden und verlangt vom Spieler eine der genannten Entscheidungen:

a) Ich unternehme nichts.
b) Ich nehme den Auftrag an und setze den Zünder ein.
c) Ich entscheide mich dagegen und deaktiviere die Bombe.
d) Ich nehme den Auftrag an, kassiere das Geld dafür, und verrate den Auftraggeber beim Sherriff.


Im Computerspiel Mass Effect 2 von Electronic Arts verändert man, je nach positiver oder negativer Interaktion, sogar sein Aussehen: schlechte Handlungen schaffen Narben und Hautunreinheiten, während gute Taten solche Schönheitsfehler beseitigen.


Das sind meist Rollenspiel-Eigenschaften. Aber auch in den oft kritisierten Ego-Shootern werden immer mehr ethische Entscheidungen eingebaut: helfe ich Verwundeten Kameraden, behalte ich die Medizin für mich, etc. zwingen den Spieler zu entsprechenden Handlungen. Ein gutes Beispiel ist hier das umstrittene "BioShock" und "BioShock 2" aus dem Hause 2K Games, im Vertrieb Take2 Interactive. Hierbei handelt es sich um den Nachfolger von "System Shock" und "System Shock 2". "System Shock 2" läutete 1999 einen neue Ära von Gaming ein: Die Vermischung aus Egoshooter mit Rollenspiel-Elementen.
br> In Aufbau- und Strategiespielen wird ebenfalls immer öfters die Möglichkeit von ethischen Entscheidungen gegeben. In dem Computerspiel Siedler7 von Ubisoft kann man erstmals ohne militärische Intervention das Spiel für sich entscheiden. Komplexere Strategiespiele haben meist einen latenten Krieg oder ein historisches Ereignis zum Szenario, erfordern zudem ein Maß an Intelligenz - und geschichtlich lernt man oft auch noch was dazu.


Die Spieler setzen sich auch kritisch mit ihrem Hobby auseinander, wollen aber nicht von Politikern und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Schriften bevormundet werden: Diskussionen zum Thema Militarismus und Verharmlosung von aktuellen Kriegsereignissen in Video- und Computerspielen hat gezeigt, dass die Flut von Weltkriegs-Shootern von 75% der Spielergemeinde kritisiert wird.


Dagegen sind pauschale Aussagen von Politikern, die sich mit der Materie noch nie befasst haben oder damit auskennen unqualifiziert. Aussagen vom Ex Bayerischen Staatsminister der CSU: „Solche Spiele gehören verboten…“ und anderen politischen „Moral- und Sittenwächtern“ sind unqualifiziert - das hats sich spätestens bei der Wahl gerächt.


So wird sogenannten Ego-Shootern pauschal die Schuld an Amokläufen gegeben. Amokläufer gab es schon immer in der Geschichte der Menschheit. Die Medien verbreiten nur Nachrichten schneller und breiter. Während früher „Gewalt- und Horrorvideos“ dafür verantwortlich gemacht wurden, stehen heutzutage Computerspiele mit Gewaltinhalten im Kreuzfeuer der Kritik. Meist wurde auf den Rechnern der Amokläufer „angeblich“ festgestellt, sie würden Killerspiele wie Counterstrike spielen. Hierzu findet man sogar ganze Diplomarbeiten von Studenten zu diesem Thema im Netz.


Wenn diese Theorie stimmen würde, müsste derjenige, der Steine von der Autobahnbrücke geworfen hat, zu viel Tetris gespielt haben: ein Logik- sowie Denkspiel des ehemaligen Studenten und Programmierers Alex Paschitnow aus dem Jahre 1984. Hier muss man in kurzer Zeit verschiedene Bausteine passend zusammenfügen und lernt somit spielend logisch denken. Auch in dem Computerspiel Counterstrike lernt man Taktik. Als Amokläufer hat man hier keine Chance, länger als 5-10 Sekunden zu überleben.


Zum Abschluss bleibt zu sagen: Video- und Computerspiele sind pädagogisch wertvoll. Es gibt sie bereits seit mehr als 30 Jahren und Computerspiele sind nicht nur Alltagsmedium vieler Kinder und Jugendlicher, sondern auch Bestandteil unserer Kultur mit denen auch viele Erwachsenen der heutigen Zeit groß geworden sind; sich auch heute damit beschäftigen und vergnügen. Computerspiele gehören auch zur Kunst - ihnen sollte dieselbe Wertschätzung entgegen gebracht werden wie Filmen, Comics, Büchern, Songs etc.


Eigene Meinung: Von mir kann ich behaupten – ich habe zu meiner Kindheit viele meiner besten Freunde mit Platzpatronen und Blasrohren, Wasserbomben und Erbsenpistolen getötet und bin auch von ihnen mehrfach „getötet worden“. Auch habe ich Playmobilfiguren mit Spielzeugpistolen beschossen und Spickern beworfen. Bin ich nun auch ein „potentieller“ Amokläufer – ein Schläfer, womöglich sogar potentieller Terrorist? Auch im virtuellen Leben habe ich schon mehrfache Rollen eingenommen, tausend Tode ausgeteilt und auch erlebt. Ebenso wie Bekannte von mir, darunter Anwälte, Polizisten und Journalisten. Unqualifizierte Kommentare von Personen, die sich noch nie im Leben mit Video- und Computerspielen auseinandergesetzt haben, bringen mich zur Weißglut. Oft denke ich insgeheim: Liebe Politiker, tragt Eure Welt-Differenzen lieber virtuell aus, statt real Menschen zu töten, Länder zu besetzen und Wirtschafts-Ressourcen auszubeuten.