Hochschule für Philosophie München |
26.05.2021 13:52
Buchvorstellung: Die Philosophin und Lyrikerin Dr. Mara-Daria Cojocaru
Mara-Daria Cojocaru veröffentlicht Plädoyer für eine neue Herangehensweise an die Mensch-Tier-Beziehungen
Die Philosophin und Lyrikerin Dr. Mara-Daria Cojocaru plädiert in ihrem heute erschienenen Buch „Menschen und andere Tiere: Plädoyer für eine leidenschaftliche Ethik“ (wbg) für eine neue Herangehensweise an die Ethik der Mensch-Tier-Beziehungen. Obwohl emotionsgeladene Themen wie Tierschutz und Tierwohl in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Zuspruch gefunden haben, wird an kontroversen Praktiken, wie der Nutztierhaltung oder Tierversuchen, festgehalten. Cojocaru beleuchtet in ihrem neuen Buch diesen Widerspruch aus Sicht der pragmatistischen Philosophie und rückt dabei besonders die praktische Umsetzung ethischer Erkenntnisse sowie die Relevanz von Emotionen in den Mittelpunkt. Ausschlaggebend ist dabei, wie Menschen mit ihren eigenen Empfindungen und denen anderer Lebewesen umgehen können, um ein gelingendes Miteinander oder zumindest ein respektvolles Nebeneinander von Menschen und anderen Tieren zu verwirklichen. Dr. Cojocaru erläutert zentrale Aspekte ihrer Position:
Frau Dr. Cojocaru, wo sehen Sie derzeit die größten Mängel in unserem Verständnis der Beziehung von Menschen und Tieren?
Wir haben noch nicht wirklich verstanden, dass es nicht sinnvoll ist, von dem Menschen auf der einen Seite und allen anderen Tieren auf der anderen Seite zu sprechen. Da Tiere auf viele verschiedene, zum Teil auch konkurrierende Arten von enormer Bedeutung für uns sind, ist es wichtig, unsere Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen aller Tiere zu schärfen, um Mensch-Tier-Beziehungen nachhaltig zu verbessern. Um ein Beispiel zu geben: Wie ich mich gegenüber Blauwalen in ein Verhältnis zu setzen habe, unterscheidet sich erheblich davon, was ich meinen Hunden schulde, ist aber nicht minder trivial. Wir denken, wir seien fein raus, wenn wir schon sprachlich so tun als seien Tiere etwas ganz anderes. Dass wir auch Tiere sind, verwirrt uns seit Jahrtausenden leider derart, dass die allermeisten anderen Tiere das Nachsehen haben.
Sie bezeichnen Ihren Ansatz als pragmatisch – was heißt das genau?
Das heißt erstens, dass ich mich dafür interessiere, was die denkbaren praktischen Konsequenzen von Begriffen sind und wie Menschen vom Denken ins Handeln kommen. Zweitens arbeite ich mit den positiven Überzeugungen, die die allermeisten Menschen im Hinblick auf andere Tiere schon haben, aber in ihrem Handeln nicht umsetzen können. Ich nenne das den ethischen Minimalkonsens. Dieser steht sogar in unserem Tierschutzgesetz. Wenn man nur die Praxis analysierte, müsste man meinen, Menschen wären überzeugte Tierhasser und Schlächter. Das passt aber nicht dazu, dass sich viele sogar für ausgesprochen tierlieb halten.
Apropos Tierliebe, welche Rolle spielen nun Emotionen bei ihrem Ansatz?
Es gehört zu den pragmatischen Kerneinsichten, dass Vernunft und Emotion nicht zu trennen sind. Schon der Zweifel, vielleicht eine von zwei philosophischen Uremotionen, ist zentral, um überhaupt die richtigen Fragen zu stellen. Darüber hinaus denke ich nicht, dass Menschen spezifische moralische Emotionen haben, die immer verlässlich funktionierten. Wut, zum Beispiel, kann eine Reaktion auf Ungerechtigkeit sein, sie kann aber auch eine Abwehrreaktion sein auf etwas, das als Kritik oder „moralische Belehrung“ verstanden wird. Mein Ansatz will diese und andere Emotionen in tierethische und -politische Diskussionen integrieren, statt immer wieder pseudosachliche Scheingefechte zwischen Wunsch und Wirklichkeit auszutragen.
Wie können Fortschritte auf institutioneller Ebene, wie in Politik und Wissenschaft, erzielt werden?
Wir könnten beispielsweise aufhören, die Verantwortung für das oft versteckte Leben und Leiden unzähliger Tiere bei der Figur des ‚tugendhaften Konsumenten‘ abzuladen, der beim Einkaufen alle Probleme der Welt zu lösen hat, von Kinderarbeit über Tierleid bis zum Klimawandel. Stattdessen sollten wir bestimmte Praktiken schlicht durch bessere Alternativen ersetzen. Dafür braucht es mindestens einen echten Paradigmenwechsel in den Agrar- und biomedizinischen Wissenschaften, staatliche Subventionen sowie zivilgesellschaftliche Austauschprogramme. Zudem denke ich, dass auch – da viele dieser Umbrüche unter die Haut gehen werden – das Engagement kirchlicher und anderer religiöser Gemeinschaften nicht schaden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass auch aus religiöser Perspektive nicht mehr immer nur der Mensch im Letzten zählt.
Autorin mit Leidenschaft für Tierschutz und Philosophie
Mara-Daria Cojocaru, geboren 1980 in Hamburg, ist seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin des von der Rottendorf-Stiftung getragenen Projekts „Globale Solidarität – Schritte zu einer neuen Weltkultur“ der Hochschule für Philosophie München (HFPH). Seit 2014 ist Cojocaru Dozentin für praktische Philosophie an der HFPH. Sie hat Politikwissenschaft, Philosophie, Theaterwissenschaft und Recht im Nebenfach an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert, wo sie 2011 mit einer Arbeit in der politischen Philosophie promoviert wurde. Forschungsaufenthalte führten sie u.a. für mehr als ein Jahr an die Universität Sheffield. Als Lyrikerin wurde sie zuletzt mit dem Alfred-Gruber-Preis beim Lyrikpreis Meran ausgezeichnet.
Denken lernen an der HFPH
An der Hochschule für Philosophie München (HFPH) stellen sich Lehrende und Studierende seit mehr als 90 Jahren gemeinsam den Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft. Das Studienangebot der vom Jesuitenorden getragenen und staatlich anerkannten Hochschule umfasst Philosophie-Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor, Master und Promotion ebenso wie berufsbegleitende Weiterbildungsstudiengänge mit Zertifikat oder Master-Abschluss. In zentraler Lage finden Studierende hervorragende Studienbedingungen mit modernen Hörsälen und Seminarräumen und einem sehr günstigen Betreuungsverhältnis vor.
Veranstaltungshinweis:
Dr. Mara-Daria Cojocaru wird am 05.07.2021 ab 17.00 Uhr gemeinsam mit Dr. Ulrike Draesner im Rahmen der internationalen Veranstaltungsreihe „Notes from a Biscuit Tin“ ein philosophisch-literarisches Gespräch zum Thema „Beasts“ im Denken Mary Midgleys führen. Die Veranstaltung, die von der Hochschule für Philosophie unterstützt wird, ist angelehnt an das Vermächtnis der britischen Philosophin. Mit Thesen wie „we are animals“ leistete Midgley wichtige Beiträge zur Umweltphilosophie, Tierethik und Wissenschaftstheorie. Cojocaru wird Midgleys Kritik am Konzept des ‚Tierischen‘ als dem Anderen, von dem sich Menschen zu distanzieren hätten, erläutern und im Gespräch mit Draesner Hintergründe und Perspektiven der Mensch-Tier-Beziehungen beleuchten.
Link zur Veranstaltung: www.hfph.de/beasts