Friedrich-Schiller-Universität Jena |
10.06.2020 16:32
Selbstheilende Knochenzemente
Materialwissenschaftler der Universität Jena entwerfen schadenstoleranten Knochenersatz
Viele Verletzungen und Wunden behandelt unser Körper von ganz allein. Selbstheilungskräfte schließen Hautabschürfungen und lassen Knochen wieder zusammenwachsen. Bei der Knochenreparatur nach einer Fraktur oder auch aufgrund eines Defektes müssen Mediziner allerdings oft nachhelfen. Dabei kommen immer häufiger sogenannte Knochenersatzmaterialien zum Einsatz, die an der geschädigten Stelle die Form und Funktion des Knochens teilweise oder vollständig wiederherstellen. Damit solche Implantate im Fall einer Beschädigung nicht selbst durch eine aufwendige Operation ausgetauscht oder repariert werden müssen, sollten sie ebenfalls Selbstheilungsfähigkeiten besitzen. Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben jetzt ein Knochenersatzmaterial entwickelt, das das Ausmaß der eigenen Schädigung minimiert und sich gleichzeitig selbst repariert. Über ihre Forschungsergebnisse berichten sie im renommierten Forschungsmagazin „Scientific Reports“.
Minimalinvasive Anwendung von Kalziumphosphat-Zement
Die Jenaer Experten, die im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Selbstheilende Materialien“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit Kollegen der Universität Würzburg zusammenarbeiteten, konzentrierten sich dabei auf sogenannten Kalziumphosphat-Zement – einen Knochenersatzstoff, der in der Medizin bereits häufig zum Einsatz kommt. Denn das Material regt zum einen die Knochenbildung an und steigert das Einwachsen von Blutgefäßen. Zum anderen lässt es sich minimalinvasiv als Paste in den Körper einbringen, wo es sich aufgrund seiner Verformbarkeit eng an die Knochenstruktur anpasst.
„Aufgrund seiner hohen Sprödigkeit bilden sich im Material jedoch bei zu großer Belastung Risse, die sich schnell weiter öffnen, das Implantat destabilisieren und schließlich zerstören können – ähnlich wie bei Beton an Gebäuden“, erklärt Prof. Dr. Frank A. Müller von der Universität Jena. „Deshalb wird Kalziumphosphat-Zement bisher hauptsächlich an Knochen eingesetzt, die keine lasttragende Rolle im Skelett einnehmen, etwa im Mund- und Kieferbereich.“
Risse überbrücken und wieder auffüllen
Die Jenaer Materialwissenschaftler haben nun einen Kalziumphosphat-Zement entwickelt, bei dem sich mögliche Risse nicht zu katastrophalen Schäden entwickeln, sondern das Material sie selbst wieder verschließt. Der Grund dafür sind dem Stoff beigemengte Kohlenstofffasern. „Diese Fasern erhöhen zum einen die Schadenstoleranz des Zements enorm, da sie entstehende Risse überbrücken und so verhindern, dass sich diese weiter öffnen“, erklärt Müller. „Zum anderen haben wir die Oberfläche der Fasern chemisch aktiviert. Das bedeutet, sobald die offenliegenden Fasern in Kontakt mit Körperflüssigkeit kommen, die sich durch die Rissbildung in den entstandenen Öffnungen sammelt, wird ein Mineralisierungsprozess initiiert. Der dabei entstehende Apatit – ein generell wichtiger Grundbaustein des Knochengewebes – verschließt den Riss dann wieder.“
Diesen Prozess haben die Jenaer Forscherinnen und Forscher im Rahmen ihrer Experimente nachgestellt, indem sie den Kalziumphosphat-Zement gezielt schädigten und in simulierter Körperflüssigkeit ausheilten. Dank dieser intrinsischen Selbstheilungsfähigkeit – und der mit der Faserverstärkung verbundenen größeren Belastbarkeit – könnten sich die Anwendungsgebiete für Knochenimplantate aus Kalziumphosphat-Zement erheblich erweitern und möglicherweise zukünftig auch lasttragende Skelettbereiche umfassen.
Original-Publikation:
Anne V. Boehm, Susanne Meininger, Uwe Gbureck, Frank A. Mueller (2020): Self-healing capacity of fiber-reinforced calcium phosphate cements, Scientific Reports, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-020-66207-2
Bild Prof. Dr. Frank A. Müller, Professur für Oberflächen und Grenzflächentechnologie am Otto-Schott-Institut für Materialforschung (OSIM) der Friedrich-Schiller-Universität Jena, aufgenommen am 29.05.2020. Im Bild links ist eine Universalprüfmaschine zur Charakterisierung der Bruchfestigkeit von Werkstoffen zu sehen. (Foto: Anne Günther/FSU)
Kontakt:
Prof. Dr. Frank A. Müller
Otto-Schott-Institut für Materialforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 947750
E-Mail: frank.mueller@uni-jena.de